Wielstadt-Trilogie Bd. 1 - Drachenklingen
nicht einmal Eure Freunde wieder.«
Verwirrt zuckte Marciac mit den Schultern und runzelte die Stirn, doch dann, als die Baronin von Vaudreuil ihren Schleier hob, schlug seine Höflichkeit plötzliche in Wiedersehensfreude um. »Agnès!«
»Guten Tag, Marciac.«
»Erlaubst du, dass ich dir einen Begrüßungskuss gebe?«
»Ich erlaube es.«
Sie umarmten sich freundschaftlich, auch wenn die junge Frau eine Hand wegschieben musste, die sich an ihre Hüften verirrt hatte. Aber die Freude des Gascogners schien von Herzen zu kommen, also sah sie es ihm nach.
»Welche Freude, Agnès! Welche Freude! Also bist du auch wieder mit von der Partie?«
Agnès wies auf den stählernen Ring, den sie über ihrem grauen Handschuh trug. »Aber ja«, sagte sie. »Einmal Klinge …«
»… immer Klinge!«, vollendete Marciac den Satz. »Weißt du, dass ich in den vergangenen fünf Jahren oft an dich gedacht habe?«
»Ach wirklich? Hatte ich etwas an?«
»Manchmal!«, rief Marciac. »Manchmal schon!«
»Weil ich dich nur allzu gut kenne, nehme ich dir das ausnahmsweise nicht übel.«
Almadès, der seinen Platz am Fenster verlassen hatte, trat aus der Tür des Haupthauses. »Willkommen, Agnès.«
»Danke. Ich freue mich sehr, auch Euch wiederzusehen. Eure Fechtlektionen haben mir gefehlt.«
»Wir können sie jederzeit wieder aufnehmen. Wann immer es Euch gefällt.«
Während dieser überschwänglichen Begrüßungen hatte sich Guibot ganz allein abgemüht, die beiden Flügel des schweren Eingangstors zu öffnen. Als er es geschafft hatte, fuhr die Kutsche herein, gelenkt von Ballardieu, der vom Kutschbock aufsprang und mit der Pfeife im Mundwinkel breit grinste. Noch einmal begrüßte man einander fröhlich und lautstark. Der alte Soldat und Marciac schienen sich über ihr Wiedersehen besonders zu freuen. Die beiden teilten einige schöne Erinnerungen an geleerte Weinflaschen und süße Eroberungen.
Die Pferde warteten darauf, abgeschirrt zu werden, die Kutsche musste in die Remise gebracht und das Gepäck ins Haus getragen werden. Nun halfen alle mit. Nur Agnès sollte keinen Finger krümmen, darauf bestand der alte Pförtner eisern. Doch diese hörte nicht auf ihn und machte so die Bekanntschaft der netten, aber schüchternen Naïs, die von dem fröhlichen Stimmengewirr aus der Küche gelockt worden war.
Schließlich tauchte auch La Fargue auf.
Sein Erscheinen dämpfte zwar die Stimmen der Truppe, nicht aber ihre Stimmung.
»Hattest du eine angenehme Reise, Agnès?«
»Ja, Hauptmann. Als ich Eure Nachricht erhalten habe, ließ ich unverzüglich einspannen, und wir sind so schnell wie möglich hierher geeilt.«
»Seid gegrüßt, Ballardieu.«
»Hauptmann.«
»Hier sieht es immer noch genauso traurig aus«, sagte Agnès und zeigte auf die grauen Steine, aus denen das Palais Épervier errichtet war.
»Nicht mehr ganz so, jetzt, da wir wieder alle versammelt sind.«
»Sind wir wirklich wieder komplett, Hauptmann?«
Steif und streng, eingezwängt in sein schieferfarbenes Wams und mit der Hand am Griff seines Degens, legte La Fargue die Stirn in Falten und starrte einen Moment zum Tor hin. Dann sagte er: »Nun ja, fast.«
Da öffnete sich das Einganstor ein weiteres Mal. Ein Mann mit einem weißen Rapier an der Seite erschien und lächelte die versammelte Mannschaft wehmütig und erfreut zugleich an.
Es war Leprat.
9
Während der Sonn- und Feiertage vergnügten sich die Pariser gern außerhalb der Hauptstadt, sofern es das Wetter erlaubte. Fernab der Vorstädte, in Vanves, Gentilly, Belleville oder den Marktflecken Meudon und Saint-Cloud, lockten idyllische Wirtshäuser. Dort gab es Wein und Tanz. Man fand Zerstreuung beim Boulespiel in den Laubengängen oder überließ sich im kühlen Schatten und inmitten der frischen
Landluft einfach dem Müßiggang. Die Stimmung war ausgelassen und die Sitten locker – skandalös locker, wie manche fanden. Und tatsächlich gab sich am Abend, beschwingt vom Wein, so mancher einem Schäferstündchen hin. Während der Woche aber, wenn weniger Gäste kamen, schätzte man an Orten wie dem Gasthof Zum kleinen Mauren in Vaugirard ganz einfach die Ruhe und das gute Essen.
Saint-Lucq und Bailleux waren in eines dieser Wirtshäuser eingekehrt. Nachdem sie sich aus dem Fenster der Mühle, in der der Notar gefangen gehalten worden war, in den Fluss gestürzt hatten, waren sie den Reitern, die den Gefangenen übernehmen wollten, zwar entkommen, aber die Strömung hatte sie weit
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