Wielstadt-Trilogie Bd. 1 - Drachenklingen
noch nicht ihre Kühnheit und Opferbereitschaft. Auch wenn sie nicht sehr vertrauenerweckend aussahen, waren sie doch eine Elitetruppe, der höchstens noch die Garde des Kardinals das Wasser reichen konnte.
»Ihr sollt wissen, Leprat, dass man im Louvre ausgesprochen zufrieden mit Euch ist. Ich habe Ihre Majestät den König heute Morgen getroffen. Er erinnert sich noch gut an Euch und lässt Euch seine Empfehlungen zukommen … Eure Mission war ein voller Erfolg.« Daraufhin wendete er seinen Blick vom Hof wieder Leprat zu. »Man hat mich beauftragt, Euch Urlaub zu geben«, sagte er in würdevollem Ton.
»Danke.«
»Dankt mir nicht. Es handelt sich um unbegrenzten Urlaub.«
Der Musketier erstarrte ungläubig.
Eine Beurlaubung für einige Tage oder Wochen galt als Belohnung, doch ein Urlaub auf unbestimmte Zeit hieß, dass
er, bis ein anderer Befehl erging, den Mantel nicht mehr tragen durfte.
Aber warum?
8
Eine Kutsche, die Paris über die Porte de Richelieu erreicht hatte, bog in die Straße gleichen Namens ein, die zwischen dem Kardinalspalast und der Anhöhe Saint-Roche verlief, und überquerte schließlich die Seine auf einer erst kürzlich aus Holz errichteten Zollbrücke: die Pont Rouge , die ihren Namen der rötlichen Farbe verdankte, in der sie getüncht war. Danach fuhr die Kutsche weiter durch den Faubourg Saint-Germain, der um seine berühmte Abtei herum florierte und fast schon eine kleine Stadt für sich geworden war. Man rechnete damit, dass er schon bald in das Verwaltungsgebiet der Hauptstadt eingegliedert werden würde.
Auch auf der anderen Seite der Pont Rouge entstand gerade ein neues Viertel. Hier an der schlammigen Uferböschung hatte es lange Zeit ein brachliegendes Gelände gegeben, bis sich Königin Marguerite von Navarra Anfang des Jahrhunderts dazu entschloss, dort ein Landgut errichten zu lassen. So entstanden am Seineufer ein luxuriöses Palais mit weitläufigen Parkanlagen und das Kloster der reformierten Augustiner. Die erste Gemahlin von Henry IV. machte Schulden, um den Erwerb zu finanzieren, und schreckte auch vor der Unterschlagung von Staatsgeldern nicht zurück – daher, so hieß es -, käme auch der Name Quai Malaquais für ›mal acquis‹, also ›unredlich erworben‹. Nach ihrem Tode 1615 hinterließ sie zwar ein prächtiges Anwesen, aber auch 1 300 000 Livre
Schulden! Es gab Scharen von Gläubigern, und um sie auszuzahlen, musste alles zwangsversteigert werden. Parzellenweise kam der frühere Besitz der Königin unter den Hammer, und die Käufer ließen auf dem Gebiet neue Straßen anlegen und Häuser bauen.
Die Kutsche wurde von einem stattlich gebauten, grauhaarigen Kutscher gelenkt, der auf dem Mundstück einer tönernen Pfeife kaute. Er fuhr ein Stück den Kai entlang, bevor er in die Rue des Saints-Pères einbog. Auf Höhe des Charité- Krankenhauses nahm er die Rue Saint-Guillaume und hielt schließlich vor einer großen, beschlagenen Tür aus dunklem Holz.
Ein verwittertes Wappen und eine Raubvogelskulptur zierten das Giebeldreieck des Hauses.
Auf der untersten Stufe der Freitreppe des Palais Épervier saß Marciac gelangweilt herum und spielte mit ein paar Würfeln, als er den schweren Türklopfer am Eingangstor hörte. Er blickte auf und sah Monsieur Guibot, der auf seinem Holzbein über den Hof klapperte, um zu sehen, wer da klopfte. Auch Almadès lehnte sich neugierig aus einem der offenen Fenster.
Durch die kleine Pforte für Fußgänger trat kurz darauf eine Frau in den Hof. Sie war recht groß und schlank, und ihre Kleidung war grau und rot. Der Rock ihres langen Kleides war an der rechten Hüfte gerafft, und so konnte man sehen, dass sie darunter Männerhosen und Reitstiefel trug. Ihren großkrempigen Filzhut schmückten zwei lange Straußenfedern – die eine weiß, die andere scharlachrot. Ein Schleier verbarg ihr Gesicht und schützte sie vor dem Staub, dem alle Reisenden auf den schmutzigen Straßen ausgesetzt waren. Man sah nichts als ihre Lippen, voll und dunkelrot.
Marciac ging auf sie zu. Doch sie beachtete ihn gar nicht, sondern betrachtete das herrschaftliche Stadthaus, als würde sie in Erwägung ziehen, es zu kaufen.
»Guten Tag, Madame.«
Sie drehte sich um und musterte ihn wortlos, aber auf ihren Lippen lag ein Lächeln.
»Zu Euren Diensten«, empfahl sich Marciac.
Da mischte sich Almadès ein, der die Szene vom Fenster aus beobachtet hatte. »Mit Eurem Erinnerungsvermögen ist es ja nicht weit her, Marciac. Ihr erkennt ja
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