Wielstadt-Trilogie Bd. 1 - Drachenklingen
war aus schwarzem Leder, sogar der Hut und die Handschuhe, die er die ganze Zeit anbehalten hatte. Eine Klappe, verziert mit silbernen Nieten, verbarg sein linkes Auge, das offensichtlich von der Ranz zerfressen war. Die Krankheit zeichnete sich um die Augenhöhle herum ab und hatte bereits die Schläfe und Wange erreicht. Der Tumor breitete sich in sternförmigen, blauroten Flechten aus.
Der Einäugige hatte sich als Savelda vorgestellt und behauptet, er diene der Schwarzen Kralle. Mit ruhiger Stimme hatte er dem Gefangenen tausend Qualen angedroht, wenn er ihm nicht die Antworten lieferte, die er verlangte.
Er hatte nicht gelogen.
Geduldig, aber hartnäckig hatte er das Verhör durchgeführt und schien wenig beeindruckt von dem Widerstand, den der Gemarterte an den Tag legte, um seine Geheimnisse zu bewahren. Er wusste, die Zeit, der Schmerz und die Hoffnungslosigkeit würden ihr Übriges tun. Er wusste, dass sein Opfer irgendwann reden würde, so wie auch die solideste Befestigungsmauer den Kanonenkugeln nicht ewig standhalten konnte. Irgendwann würde es ganz plötzlich und ganz ohne Ankündigung so weit sein. Ein Schlag würde das Fass zum Überlaufen und den großen, befreienden Zusammenbruch bringen.
Mit einem Wink unterbrach er den x-ten Kettenhieb. Dann sagte er: »Weißt du, was mich immer wieder erstaunt? Zu sehen, wie zäh die Menschen am Leben hängen.«
Der Gefolterte war noch bei Bewusstsein, aber er verharrte reglos und stumm. Seine geschwollenen Lider waren halb geschlossen, die Augen waren glasig und rot von geplatzten Äderchen. Blutklumpen verstopften seine Ohren. Speichel, Galle und Blut liefen ihm aus den geschwollenen und aufgeplatzten Lippen.
»Du zum Beispiel …«, fuhr Savelda fort. »Im Moment wünscht du dir nichts mehr als den Tod. Du wünscht ihn dir mit jeder Faser deines Körpers und mit ganzer Seele. Wenn du könntest, würdest du deine letzten Kräfte darauf verwenden zu sterben. Und doch kommt es nicht dazu. Das Leben steckt immer noch in dir, wie ein Nagel, der tief in das härteste
Holz geschlagen wurde. Das Leben schert sich nicht darum, was du willst. Es schert sich nicht darum, was du erdulden musst, und auch nicht darum, welchen Dienst es dir erweisen würde, wenn es dir endlich entweichen würde. Es hält sich hartnäckig und verbissen und findet in dir immer wieder einen geheimen Rückhalt. Sicher, es verliert immer mehr an Kraft, aber es wird noch eine Weile dauern, bis wir es dir ausgetrieben haben.« Savelda faltete die Hände und schob seine Handschuhe zurecht, dass das Leder quietschte. »Weißt du, das Leben, das dir vom Schöpfer eingehaucht wurde, ist mein Verbündeter. Darauf zähle ich. Gegen das Leben sind all deine Loyalität und dein Mut gar nichts. Zu deinem Unglück bist du jung und kräftig. Dein Wille wird dich früher verlassen, als dass das Leben aus dir weicht, er wird dich verlassen haben, noch bevor der Tod dich erlösen kann. So ist das leider.«
Der Gefolterte versucht etwas zu sagen, aber nur ein Röcheln kam ihm über die Lippen.
Savelda rückte näher an ihn heran und hörte: » Hijo de puta! «
In diesem Augenblick kam jemand die Treppe hinunter. Er hielt auf halbem Weg an, beugte sich über das Geländer und rief auf Französisch: »Der Marquis ist da.«
»Gagnière?«, fragte der Einäugige erstaunt. Er sprach mit starkem spanischen Akzent.
»Ja. Er will mit dir sprechen. Er sagt, es sei dringend.«
»Also gut. Ich komme.«
»Und ich?», wollte der Folterknecht wissen. »Was soll ich so lange tun? Soll ich weitermachen?«
Mit offenem Hemd und schweißnasser Brust stand er da und rasselte mit der blutigen Kette. Das Geräusch allein ließ den Gefolterten erstarren.
»Nein. Warte auf mich«, befahl der Einäugige von der Treppe aus.
Die frische Nachtluft, die ihm oben entgegenschlug, empfand Savelda nach der feuchten Wärme im Folterkeller als sehr angenehm. Er durchschritt einen Raum, in dem seine Männer schliefen oder sich die Zeit mit Würfelspielen vertrieben, trat in die Nacht hinaus und atmete tief die von einem angenehmen Duft erfüllte Luft ein. Das Haus war von einem weitläufigen Obstgarten umgeben.
Dort erwartete ihn zu Pferde der wie immer unerhört elegante, junge Marquis de Gagnière.
»Er hat noch nicht geredet«, berichtete Savelda.
»Deshalb bin ich nicht gekommen.«
»Gibt es ein Problem?«
»Das kann man wohl sagen. Deine Männer haben in der Rue de la Fontaine versagt. Das Mädchen ist
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