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Wiener Requiem

Wiener Requiem

Titel: Wiener Requiem Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: J Jones
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mittlerweise ebenfalls in den Flur gekommen. Werthen stellte alle einander vor.
    »Um Himmels willen, Herr Werthen«, sagte Herr Meisner. »Was sind sie nur für ein Gastgeber. Bitten Sie die junge Dame doch auf einen Kaffee herein.«
    Ihre Züge hellten sich auf, denn sie war froh, einen Verbündeten gefunden zu haben.
    »Aber nein. Ich möchte nicht so einfach hier hereinplatzen. Ich wollte nur sagen, wie sehr ich es bedaure, mich so benommen zu haben.«
    »Fräulein Schindler«, sagte Berthe. »Ich bin sicher, dass wir uns um alles morgen im Büro kümmern können.«
    Aber Herr Meisner unterbrach noch einmal. »Sie sind also die berühmte Tochter von Schindler. Ich kann Ihnen gar nicht sagen, junge Frau, wie sehr ich die Arbeit Ihres verstorbenen Vaters schätze. Er war ein Genie der Landschaftsmalerei.«
    Sie sah Herrn Meisner fast bewundernd an. »Finden Sie wirklich? Ich bin auch der Ansicht, aber ich bin ja nicht unparteiisch. Er war so ein wunderbarer Mensch.«
    »Liebes Kind, das glaube ich gern. Nun kommen Sie doch bitte herein und nehmen Sie einen Kaffee mit uns.«
    Er führte Alma ins Esszimmer und legte dabei väterlich den Arm um ihre Schultern.
    Werthen, Berthe und Gross blieb nur übrig, ihnen verwundert zu folgen. Was in aller Welt hat der alte Mann nur vor?, fragte sich Werthen.
    Alma ließ sich bereitwillig ins Esszimmer führen; an ihre wartende Schwester schien sie dabei nicht mehr zu denken.
    Herr Meisner rückte der jungen Dame den Stuhl neben sich zurecht. Gross sammelte schnell die Briefe ein und schob sie zu der Pistole in die Jackentasche.
    »Also, wofür genau wollen Sie sich denn entschuldigen?«, fragte Berthes Vater.
    Sie errötete bis in ihr recht offenherziges Dekolleté.
    »Ich kann mir überhaupt nicht vorstellen, dass einer so charmanten junge Dame ein größerer Fauxpas unterlaufen sollte«, fuhr Herr Meisner fort.
    »Fräulein Schindler machte einige recht unglückliche Bemerkungen während unseres Besuches bei Zemlinsky«, sprang Werthen ein.
    Sie sah auf. »Ihr Schwiegersohn ist sehr großzügig. Die unglücklichen Bemerkungen waren rassistischer Natur. Um genau zu sein, waren sie antisemitisch.«
    Das löste bei dem alten Mann nur schallendes Gelächter aus. »Nun, Sie wären kaum eine echte Österreicherin, wenn Sie davon nicht ein wenig im Blut hätten, junge Dame. Zerbrechen Sie sich nur nicht den Kopf, ich finde es anerkennenswert, dass Sie gekommen sind, um dies einzugestehen. Das haben Sie gut gemacht.«
    Frau Blatschky kam zur Tür. »Darf ich jetzt Kaffee servieren, gnädige Frau?«, fragte sie.
    »Bitte, Frau Blatschky«, antwortete Berthe.
    »Und bitte eine extra Tasse für unseren charmanten Besuch«, setzte Herr Meisner hinzu.
    »Oh, nein, vielen Dank, aber ich muss jetzt wirklich gehen.« Sie ergriff Herrn Meisners Hand und strich kurz mit den Fingern darüber. »Ich danke Ihnen vielmals, mein Herr. Ich fühle mich schon viel besser. Vielleicht kann ich mir jetzt noch den letzten Akt der Oper anhören.«
    Sie stand auf und verabschiedete sich. Nur Herr Meisner versuchte, allerdings vergeblich, sie daran zu hindern. Sie entschwand und hinterließ einen zarten Duft nach Veilchen in dem Zimmer.
    »Mein Gott«, sagte Herr Meisner, als sich die Wohnungstür schloss. »Was für eine entzückende junge Frau! Herr Werthen, Sie tun ihr einen schlechten Dienst, wenn Sie sie eine verdorbene Dilettantin nennen. Sie hat durchaus Ausstrahlung, das Fräulein Schindler, eine echte Persönlichkeit.«
    »Persönlichkeit, das ist wohl wahr«, räumte Werthen ein, meinte aber etwas ganz anderes als Herr Meisner.

15. KAPITEL
    Am nächsten Morgen ging Werthen in sein Büro, ließ Gross, Herrn Meisner und Berthe zurück, die sich über die Notenschrift aus dem anonymen Brief beugten, um vielleicht den Kode zu knacken. Tor war bereits im Büro und arbeitete mit der ihm eigenen Akribie an einer handschriftlichen Abschrift des Testamentes des Herrn von Tuma, dem Familienoberhaupt der von Tumas. Schon in seiner zweiten Arbeitswoche hatte Werthen dem jungen Mann einen eigenen Schlüssel gegeben, da er den Eindruck eines besonders glaubwürdigen und zuverlässigen Menschen gemacht hatte.
    Sobald dieser Fall abgeschlossen ist, werde ich sein Gehalt anpassen müssen, dachte Werthen. Seine Kanzlei konnte es sich nicht leisten, jemand so Wertvolles an die Konkurrenz zu verlieren.
    Tor gehörte nicht zur gesprächigen Sorte, und so wünschten sie sich an diesem Tag gegenseitig nur kurz guten

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