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Wiener Requiem

Wiener Requiem

Titel: Wiener Requiem Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: J Jones
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Wurstplatte?«
    Werthen sah sich um. Er erinnerte sich an ein gemütliches Lokal in der Nähe des Rings. Er führte Gross in den Schwarzen Schwan, ein Wirtshaus in der Nähe des Rathauses mit dieser rustikalen Atmosphäre, die Gross so schätzte.
    Sobald sie an einem behaglichen Ecktisch aus Eiche saßen, bestellte Gross eine Platte Wurstaufschnitt mit Zwiebeln. Werthen hielt sich an ein Gläschen Slibowitz und einen kleinen Braunen.
    »Es gibt zu viele Spuren, denen wir folgen müssen«, sagte Werthen und schaute Gross dabei zu, wie er sich über das Essen hermachte.
    »In welchem Fall der kluge Ermittler angewiesen ist, die Möglichkeiten auf eine überschaubare Menge einzugrenzen«, nuschelte Gross mit einem letzten Bissen im Mund. »Einst weilen empfehle ich, Herrn Mahler auf kleiner Flamme weiter köcheln zu lassen.« Er tupfte die fettigen Lippen mit einer Serviette ab. »Um beim Vokabular der Kochkunst zu bleiben.«
    »Berthe wird enttäuscht sein«, sagte Werthen. »Sie hat die Spur bezüglich Mahlers Vergangenheit sehr ausführlich erforscht, insbesondere nach den gestrigen Hinweisen von Frau Adler.«
    »Diese Hinweise gibt es ja schon seit Jahrzehnten«, antwortete Gross. »Sie können also noch ein paar Tage oder auch Wochen warten, während wir uns um den Tod von Brahms und Bruckner kümmern. Meine Rückkehr nach Czernowitz kann ebenfalls warten. Schließlich ist das Semester vorbei, und Adele weilt immer noch in Paris.«
    Gross will damit wohl um eine Verlängerung seiner Unterkunftbitten, vermutete Werthen, um mit der Ermittlung fortfahren zu können. Werthen ging nicht weiter auf die Bemerkung ein. »Und wie wollen Sie die Ermittlung weiterführen?«, erkundigte er sich stattdessen.
    »Wir können mit Ihrem Freund beginnen, Herrn Kraus. Er scheint all den Tratsch und Klatsch zu kennen, der in dieser schönen Stadt als Nachricht firmiert.«
     
    »Von welcher Art von ›Ponderabilien‹ sprechen wir hier?«, wollte Karl Kraus wissen.
    Sie saßen im Büro der
Fackel
in der Maximilianstraße 13, einer Straße innerhalb des Rings genau gegenüber der Hofoper. Kraus arbeitete im exakten geografischen Mittelpunkt Wiens. Trotz der imponierenden Adresse schrieb der Journalist in einem beengten und unaufgeräumten Eckbüro, das einen kleinen Tisch und ein ramponiertes Ledersofa beherbergte. Alte Ausgaben der
Wiener Zeitung
, der
Neuen Freien Presse
, des
Fremdenblatts
, der
Wiener Mode
und der
Deutschen Zeitung
stapelten sich an einer Wand. Werthen und Gross saßen auf zwei etwas wackligen Stühlen mit gerader Rückenlehne. Auf dem Schreibtisch von Kraus herrschte ein einziges Durcheinander von Papier. Er schrieb alle Artikel der Zeitschrift selbst und von Hand; seine Schrift war ein gedrängtes Gekritzel, wie Werthen auf dem Kanzleipapier sehen konnte, das überall verstreut herumlag.
    »Ponderabilien der Art, wie zum Beispiel Bruckner und Brahms gestorben sind.« Gross lächelte Kraus unbekümmert an.
    »Oh, da wollen aber zwei in schwere See stechen.«
    »Wie meinen?«, fragte Gross.
    Nun war es an Kraus, unschuldig zu lächeln. »Warum zählen Sie nicht auch gleich den Tod von Herrn Strauß dazu?«, erkundigte er sich. »Wir machen hier in Wien doch ein so schönes Geschäft mit dem Tod.«
    »Ist es das, woran Sie gerade arbeiten?«, fragte Werthen.
    »Für meine verspätete Juni-Ausgabe«, bestätigte Kraus und deutete auf die Seite vor ihm. »Das ›kaufmännische Trauern um Johann Strauß‹. Hat doch einen freundlichen Ton, finden Sie nicht? Sein Tod war die Geburtsstunde für eine Flut neuer Produktionen in allen Theatern dieses Landes. Sogar der Vergnügungspark im Prater hat sich mit einer ›Totenfeier à la Venedig‹ dazugesellt. Ich vermute, sie werden einen dunkelhaarigen Südländer Strauß-Melodien auf einer Gondel summen lassen, die auf einem dieser lächerlich künstlichen Kanäle schwimmt. Geschmacklosigkeit kennt eben keine Grenzen.«
    »Wir haben bereits gewisse Untersuchungen im Fall Strauß angestellt«, warf Gross ein. »Vielen Dank für die Empfehlung. Aber Herr Brahms und Herr Bruckner genügen für den Augenblick.«
    Kraus war sehr schnell von Begriff, wie Werthen wusste. Man brauchte ihm nicht lange und umständlich etwas zu erklären und konnte auch nichts verschleiern. Er verstand zweifellos die Implikationen ihrer neuen Ermittlung.
    »Nun«, Kraus lehnte sich auf seinem Stuhl zurück. »Sie kennen sicherlich die entscheidenden Tatsachen. Bruckner starb am 11. Oktober 1896. Er

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