Wienerherz - Kriminalroman
Stadtansicht.
»Bernardo Bellotto, genannt ›Canaletto‹, Wien, vom Belvedere aus gesehen«, erklärte die altertümliche Schrift auf einem Täfelchen am Rahmen.
»Ich dachte, das hängt im Kunsthistorischen Museum«, sagte er.
»Eine von zwei Versionen«, erklärte Dorin. »Diese hier ist nur wenigen Kunsthistorikern bekannt.«
Und Millionen Euro wert. Freund wechselte zu dem modernen, in bunten Farben gehaltenen Bild. Keine Beschriftung am Rahmen, aber ein Kürzel des Künstlers am Rand der Leinwand: » OK« .
»Oskar Kokoschka.«
»Im Auftrag meines Vaters.«
»Schön.«
Freund kehrte zurück, setzte sich wieder, fragte:
»Sagen Ihnen die Namen sonst etwas?«
»Canaletto und Kokoschka?«
Freund antwortete nicht und wartete. Wieder diese Stille, in der etwas Widerspenstiges lag. Doch schließlich forderte der alte Dorin – bitten konnte man diesen Ton nicht nennen –, die Namen zu wiederholen.
Freund zählte sie noch einmal auf. Dabei musste er die ganze Zeit an die Reaktion von Dorins Frau denken.
»Komeska«, antwortete der Vater nach kurzem Überlegen. »Es gab einmal einen sozialistischen Gewerkschafter, der so hieß. In meiner Funktion bei der Industriellenvereinigung hatte ich vor Jahrzehnten gelegentlich mit ihm zu tun, kannte ihn aber nicht genauer. Die anderen …«
Er schien jetzt wirklich nachzudenken.
»Nein. Nichts.«
Freund konnte nicht einschätzen, ob der Mann die Wahrheit sagte, etwas verschwieg oder gar log. Selten war er jemandem begegnet, der seine Gefühle so perfekt unter Kontrolle hatte. Freund fand etwas Raubtierhaftes in dieser Eigenschaft, diese gelassene Konzentration, die ihr Gegenüber beobachtet, auf das geringste Anzeichen einer Schwäche wartend.
Vielleicht sollte er das Raubtier aus der Reserve locken.
»Hatte nur Ihr Sohn finanzielle Probleme?«
Das Tier blieb ungerührt. Stellte eine Gegenfrage:
»Wissen Sie schon, wer Manuela und Marlies bedroht?«
»Nein«, gestand Freund. Er fragte sich, wie gut Dorin über ihre Arbeit unterrichtet war.
»Ich war über Florians Finanzen nicht informiert«, erklärte der Alte. »Tatsache ist, dass er überlegte, seine Anteile an den Familienunternehmen an uns zu verkaufen. Die Gründe dafür waren nach meinem Kenntnisstand jedoch unterschiedliche Auffassungen über die künftige strategische Ausrichtung der Gruppe.«
»Kommen wir noch einmal zurück zu der besagten Person. Können Sie sich die Ähnlichkeit und Verwandtschaft mit Ihrem Sohn irgendwie anders erklären?«
Freund musste dem Raubtierblick ein paar Sekunden standhalten, bevor er eine Antwort erhielt.
»Nein.«
»Möchten Sie, dass wir sie klären? Dann bräuchte ich eine Speichelprobe von Ihnen.«
Als Dorin senior ihn spöttisch angrinste, erschrak Freund fast über diesen Gefühlsausbruch.
Freund verstaute das Wattestäbchen in einem Plastiksäckchen. Ohne dass er ein Kommando bemerkt hätte, stand der Bedienstete in der Tür.
»Oskar bringt Sie hinaus.«
Am Flur wartete Leopold Dorin. Seine Mutter entdeckte Freund nirgends.
Als hätte Dorin die Gedanken des Inspektors geahnt, sagte er:
»Sie müssen meiner Mutter verzeihen. Der Tod meines Bruders hat sie sehr mitgenommen.«
Freund beschloss einen Vorstoß.
»Auf mich wirkte sie weniger trauernd als vielmehr zornig. Auf Ihren Vater. Genauso wie beim Leichnam Ihres Bruders.«
Leopold Dorin blieb ungerührt. »Finden Sie?«
Bei diesen Leuten rannte er gegen eine Gummiwand. Womit konnte er ihre Fassade aufbrechen?
»Es ist natürlich Ihr gutes Recht, nichts zu sehen. Oder sehr wohl etwas zu bemerken, mir aber nichts sagen zu wollen. Falls Ihnen doch noch etwas dazu einfällt, finden Sie bei mir immer eine offene Tür.«
Er wollte Dorin eben die Hand reichen, als sein Handy Keith Jarrett spielte.
Während Freund es aus der Tasche zog, nahm auch Dorin ein Gespräch an.
Sie entfernten sich ein paar Schritte voneinander.
Freund hatte Manuela Korn in der Leitung.
»Er hat sich wieder gemeldet. Dieses Mal hat er mich im Hauseingang der Praxis abgefangen.«
»Was hat er gesagt?«
»Wie meine Lösung aussieht, hat er gefragt.«
»Was war Ihre Antwort?«
»Dass sein Boss das Geld bekommt, es aber mindestens ein paar Wochen, wenn nicht Monate dauert.«
Während des Gesprächs beobachtete Freund abwesend Dorin. Der Banker stand mit gesenktem Kopf, hörte seinem Gesprächspartner zu.
»Wie hat er darauf reagiert?«
»Positiv und negativ. Mehr als eine Woche gibt er mir nicht.«
»Der
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