Wienerherz - Kriminalroman
Spazier.
»Exakt. Wir müssen jetzt alles neu denken«, forderte Freund. »Da der Tote nicht Florian Dorin, sondern Emil Komeska ist. Wenn jemand schilderte, dass Florian Dorin dies oder das getan hat, müssen wir hinterfragen, ob sie oder er wirklich Florian Dorin gesehen haben. Und umgekehrt.«
»Ich weiß, worauf du hinauswillst«, sagte Wagner. »Florian Dorin kontaktierte ein paar Tage vor seinem Tod doch den Autor der Familienchronik. Aber …«
»… wer sagt, dass es wirklich Florian Dorin war und nicht Emil Komeska? Genau.«
»Als Nächstes versucht er, die Briefe zu finden, von denen der Professor ihm erzählte.«
»Dafür muss er zu Dorins Eltern in die Bibliothek«, spann Petzold das Garn weiter.
»Und danach bringt er sich um«, stellte Spazier fest.
»Wahrscheinlich kam er bei den Dorins nicht hinein«, mutmaßte Petzold. »Ich halte das Ganze für sehr weit hergeholt. Aber lasst uns weitermachen.«
»Oder es gelang ihm tatsächlich, sich Zutritt zu verschaffen«, sagte Wagner. »Doch fand er nicht, was er zu finden hoffte. Daraufhin ist er so enttäuscht …«
»… dass er losfährt und sich erschießt?« Spazier winkte abfällig. »Das wäre doch etwas drastisch. Vor allem: Warum tut er das in Florian Dorins Wagen?«
»Guter Punkt«, merkte Freund an. »Ohne die Schere im Kopf schließen zu wollen, sollten wir uns auch mit wahrscheinlicheren Theorien beschäftigen. Wir können ja die Kollegen im ersten Bezirk und die Parksheriffs bitten, nach Komeskas Wagen Ausschau zu halten. Ist kein Aufwand, und wer weiß … nachdem wir ihn nicht in der Umgebung von Komeskas Wohnung gefunden haben …«
»Mit dem gondelt wahrscheinlich Dorin durch Europa«, sagte Spazier.
»Was für Ideen haben wir noch?«
Auf der falschen Seite
Am Freitagmorgen stand Freund um Punkt zehn Uhr vor dem Dorin’schen Palais. Tann-Dorin wartete bereits, gemeinsam gingen sie in die Bibliothek.
»Dem Herrn Professor werden wir ein akademisches Viertelstündchen gönnen«, meinte Tann-Dorin.
»Ihre Eltern und Ihr Bruder interessieren sich nicht für die Familiengeschichte?«
»Ich habe ihnen nichts von unserem kleinen Stelldichein erzählt. Sie entschuldigen mich, ich erwarte den Professor draußen. Machen Sie es sich solange gemütlich. Was darf Ihnen Oskar bringen?«
»Gern einen Kaffee. Milch, kein Zucker.«
Freund spazierte die Bücherregale entlang und studierte die Buchrücken.
Oskar brachte Kaffee. Kaum hatte er den Raum verlassen, ließ Tann-Dorin einen stattlichen älteren Herrn eintreten. Ein Professor wie aus dem Bilderbuch, dachte Freund, wenn auch aus einem US -amerikanischen. Grünes Tweedsakko zum blauen Hemd und Cordhose, das volle weiße Haar nach hinten gekämmt.
Ein paar Minuten lang tauschten sie Höflichkeiten und Erinnerungen aus. Schließlich kamen sie auf Florian Dorin zu sprechen.
»Furchtbare Sache«, sagte der Professor. »Noch einmal mein aufrichtiges Beleid.«
Tann-Dorin spielte mit. Ihr Besucher kannte die neuesten Entwicklungen ja noch nicht, und er sollte sie vorläufig auch nicht erfahren.
»Wie hat Florian denn Kontakt zu Ihnen aufgenommen?«, fragte der Maler.
»Er rief mich an.«
»Sie haben ihn nicht getroffen?«
»Nein.«
»Woher wissen Sie dann, dass es mein Bruder war?«
»Wer sollte es sonst gewesen sein?«, antwortete Pandell verdutzt.
Tann-Dorin winkte ab. »War nur so eine Frage. Und was wollte er?«
»Wie ich Ihnen schon am Telefon erzählte: Er wollte wissen, ob ich bei meiner Arbeit an der Familienchronik seinerzeit mehr über seinen Großonkel Cornelius fand, als ich geschrieben habe. Daraufhin habe ich ihm von den Briefen erzählt und wo er sie findet. Aber die kennen Sie ja, sagten Sie.«
»Das war alles?«
Pandell nickte nachdenklich. »Ja, er schien damit zufrieden.«
»Dabei gibt es noch mehr, wie Sie bei unserem Telefonat andeuteten.«
Der Professor zierte sich.
»Ich musste Ihrem Großvater versprechen, niemandem davon zu erzählen.«
»Mein Großvater ist seit über zwanzig Jahren tot«, wiederholte Tann-Dorin sein Argument vom Freitag. »Und Sie sind doch nicht gekommen, um uns nichts zu erzählen.«
»Wäre ich auch nicht, wenn nicht das mit Ihrem Bruder … aber jetzt, nachdem Sie beide innerhalb weniger Wochen nach Ihrem Großonkel fragen und Ihr Bruder so bald nach unserem Gespräch … dachte ich, dass ich es vielleicht doch erzählen sollte.«
»Wir sind ganz Ohr.«
Pandell seufzte theatralisch, bevor er begann:
»Als mich Ihr
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