Wienerherz - Kriminalroman
Großvater beauftragte, wusste ich nicht mehr über die Dorins als die meisten anderen auch. Natürlich war mir der Name ein Begriff, viel mehr aber nicht. Ich war damals noch ein unterbezahlter Lehrbeauftragter an der Universität, das Projekt war mir mehr als willkommen. Ich stürzte mich mit Feuereifer in die Arbeit. Nach einem halben Jahr hatte ich den ersten Entwurf fertig und gab ihn Ihrem Großvater Eduard zum Lesen. Erst an seiner Reaktion wurde mir klar, was er wirklich wollte. Es ging nicht um eine detailgenaue Wiedergabe der Historie des Geschlechts Dorin. Vielmehr wollte er sich selbst und der Familie ein Denkmal setzen. Was er so nicht sagte und ich umso verwunderlicher fand, als das Werk nicht für eine Veröffentlichung vorgesehen war. Einerlei, er bat mich, einige Passagen aus dem Buch zu streichen beziehungsweise umzuformulieren. Sie betrafen unter anderem seinen Bruder Cornelius und ihn selber. Wobei ich persönlich sie nicht so schlimm fand, aber sie widersprachen wohl der Weltsicht Ihres Großvaters und dem, was er über sich als Erinnerung schaffen wollte.«
Dafür, dass er sich zuerst so reserviert gezeigt hatte, der liebe Herr Professor, plappert er jetzt ganz schön, dachte Freund.
»Was stand denn in diesen Passagen, die Großvater nicht im Buch sehen wollte?«, fragte Tann-Dorin.
»Zum einen seine eigene Rolle in der Zwischenkriegszeit. Er stieg damals ins Familienunternehmen ein und war schnell sehr erfolgreich. Wie die meisten Industriellen der Zeit – eigentlich muss man das nicht auf damals beschränken – zeigte er dabei keine Berührungsängste mit den führenden oder aufkommenden politischen Strömungen, solange sie dem wirtschaftlichen Fortkommen dienten.«
»Was wollen Sie damit sagen? War Großvater ein früher Nazi?«
»Nein. Im Gegensatz zum Deutschen Reich war das zu dieser Zeit noch nicht notwendig, um in Österreich und den ehemaligen Kronländern gute Geschäfte zu machen. Politik war für ihn ein Mittel zum Zweck, und der hieß: gute Geschäfte machen. Als Industrieller unterstützte er das konservative Lager, weil er die wachsende Macht der organisierten Arbeiterschaft fürchtete. Darüber hinaus war er noch in der Monarchie sozialisiert worden. Mit der Demokratie konnte er sich nie wirklich anfreunden. Er hielt es mit Aristoteles, der sie als Entartung bezeichnete, weil die Freien und Armen in ihrer Mehrheit zulasten der Tüchtigen und Reichen die Politik bestimmten.«
»Darüber beschwert sich heute ja wieder so mancher«, bemerkte Tann-Dorin.
»Er nannte es die Herrschaft der Dienstboten und Kutscher. Er unterstützte die Konservativen finanziell, auch in der Diktatur von 1933 bis 1938. Dazu stand er im privaten Gespräch bis zu seinem Tod. In der Chronik wollte er es jedoch nicht sehen.«
»Ich habe woanders gelesen, dass er sich auch auf dem deutschen Markt umgetan hat«, unterbrach ihn Freund, »genau habe ich es zwar nicht verstanden, aber es hatte irgendetwas mit einer Metallurgischen Gesellschaft zu tun.«
Pandell nickte.
»Das war tatsächlich ein Part, den er auch aussparen wollte. Im Jahr 1934 dachte sich der damalige deutsche Reichsbankpräsident Hjalmar Schacht eine Konstruktion aus, mit der Hitlers Aufrüstung unauffällig finanziert werden konnte. Die Details gingen jetzt zu weit, das können Sie heute alles im Internet nachlesen, Stichwort ›Metallurgische Gesellschaft‹ und ›Mefo-Wechsel‹. Im Grunde wurde von einigen der wichtigsten deutschen Konzerne eine Scheingesellschaft gegründet, die Metallurgische Gesellschaft. Die Geschäfte des Reichs mit dieser Gesellschaft wurden nicht mit Geld abgewickelt, sondern über Wechsel, die vor allem als normale Handelswechsel galten und daher nicht im Reichshaushalt erschienen. Deutsche Tochterunternehmen der Dorins hatten schon davor Kooperationen mit einem dieser Konzerne und profitierten nun auch davon. Politisch engagiert hat er sich nie, auch wenn er nach Österreichs Anschluss an das Dritte Reich Mitglied der NSDAP wurde – eine Ironie, der Industrielle als Mitglied einer, zumindest dem Namen nach, sozialistischen Arbeiterpartei.«
»Sozialdemokratische Industrielle gibt es heute auch«, bemerkte Freund.
»Muss sich auch nicht ausschließen«, sagte Pandell.
»Na ja«, warf Tann-Dorin ein und wiegte seinen Kopf.
»Ich erzähle das deshalb so ausführlich, weil es wichtig ist für das Verständnis der Geschichte seines Bruders Cornelius und der Rolle, die er in der offiziellen
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