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Wigges Tauschrausch

Wigges Tauschrausch

Titel: Wigges Tauschrausch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Wigge
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sein, mit dem man ziemlich gut rumalbern kann. Doch mein Auftrag gebietet mir, wieder ernst zu werden.
    Joseph erzählt mir, dass ihn seine Sportkarriere in über fünfzig Länder gebracht hat und er in so viel andere Kulturen und in Kontakt mit vielen technischen Entwicklungen gekommen sei, die es in Kenia bislang noch nicht gibt. Somit hat ihm der kulturelle Austausch persönlich viel gebracht, und er kann sein Wissen an Leute aus den umliegenden Dörfern weitergeben, damit zum Beispiel in der Landwirtschaft Fortschritte gemacht werden können.
    Ich sehe in seinem Wohnzimmer eine edle Holzschatulle. Darin muss sich die Goldmedaille befinden,denke ich. Joseph nimmt die Holzschatulle und grinst mich an. Sie ist leer, keine Medaille. Er erklärt mir, dass sie in der Bank liegt, damit niemand auf die Idee kommt, sie zu klauen. Auf meine Frage, ob er diese Goldmedaille jemals eintauschen würde, schüttelt er heftig den Kopf. Sie soll seine Kinder motivieren, auch gute Leistungen zu bringen.
    Dann bietet er mir an, einen guten Freund von ihm, der gleich um die Ecke wohnt, zu besuchen. Paul Bitok istebenfalls Goldmedaillengewinner bei Afrika-Meisterschaften und zweimaliger Silbermedaillengewinner bei den Olympischen Spielen 1992 und 1996 über 5000 Meter.
    Wir fahren über matschige Lehmpisten zu einem sehr ärmlichen Dorf, an dessen Rand auffällig große Bauten stehen. Es sind die Mietshäuser von Paul, der sein Geld, wie viele andere Läufer auch, in Immobilien angelegt hat. Es ist ein ungewöhnlicher Anblick, zwischen den ärmlichen Häusern und Hütten plötzlich fünfstöckige Bürogebäude zu sehen.
    Paul erinnert mich daran, dass er 1992 im 5000-Meter-Finale bei den Olympischen Spielen auf der Zielgeraden von einem Deutschen geschlagen wurde. Richtig, die Goldmedaille gewann damals völlig überraschend Dieter Baumann. Ich kann mich an die Szene noch sehr gut erinnern, als ich als 15-Jähriger das Finale zu Hause live am Fernseher mitverfolgt habe, wie so viele andere Deutsche auch. 150 Meter vor der Ziellinie lag Dieter Baumann auf dem vierten Platz hinter den afrikanischen Läufern. Es war wohl allen klar, dass unser Mann bei dem kenianischen Staraufgebot keine Chance hatte, zumal die Bestzeiten der Afrikaner um einiges besser waren als seine eigene. Doch Baumann war bekannt für seinen starken Endspurt, und so schaffte er es auf den letzten fünfzig Metern, durch eine kleine Lücke nach vorne zu preschen und Paul Bitok überraschend zu schlagen. Die Freude in Deutschland war damals riesig, da die Kenianer als praktisch unschlagbar galten.
    Als mir Paul mit einem Foto von der Zielgeraden in der Hand diese Geschichte erzählt, wird die Stimmung sentimental und ein bisschen traurig. Schließlich musste Paul noch im letzten Moment seine olympische Goldmedaille gegen eine Silbermedaille tauschen, und das, obwohl Gold schon in greifbarer Nähe war. Ich frage ihn, ob das einengewissen Frust bei ihm hinterlassen habe. Aber Paul sieht alles sehr positiv und freundschaftlich. Er erklärt mir, dass Platz zwei doch viel besser sei als jeder Platz dahinter. Ich bin beeindruckt, dass er nicht, wie so viele andere, nur über eine Goldmedaille glücklich sein kann. Schließlich sehen doch viele Sportler und auch Fans schon den zweiten Platz als Niederlage an. Nur Gewinner werden gefeiert, so kommt es mir zumindest oftmals vor in unserer Gesellschaft. Ich frage Paul, warum er und seine Kollegen damals auf der Zielgeraden eigentlich eine Lücke für Baumann gelassen haben, schließlich hätte man diese auch problemlos schließen können. Paul erklärt mir, dass doch der Schnellste gewinnen soll und es dafür keinen Grund gegeben habe. Diese Aussagen rühren mich regelrecht, so dass ich mir etwas schäbig vorkomme, als ich wegen eines hypothetischen Medaillentauschs nachfrage. Und Paul erklärt mir, dass er seine Medaillen nicht für eine Million Dollar eintauschen würde, da ihr persönlicher Wert unschätzbar sei.
    Ich lasse ihn auf meinem selbstgefertigten 10000-Dollar-Reisegutschein unterschreiben, um den Wert noch ein bisschen zu steigern, und fahre mit Satelliten-Installateur Frank zurück nach Eldoret, wo ich den Meister aller Meister, den Champ, den Guru der Leichtathletik, ganz einfach den Besten der Besten treffe: Moses Kiptanui, siebenfacher Goldmedaillengewinner und siebenfacher Weltrekordler. Ich kann mich an seine Karriere noch genau erinnern, als er in den Neunzigern die Leichtathletikwelt auf längeren Distanzen

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