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Wigges Tauschrausch

Wigges Tauschrausch

Titel: Wigges Tauschrausch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Wigge
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Die orthodoxe Nonne Katherina erzählt mir, dass sie die Unterschiedlichkeit der Glaubensrichtungen für wichtig hält, da eben gerade durch die Vielfalt ein Austausch über Gott stattfindet.
    Zum Abschied schenkt sie mir zwei orthodoxe Klosterbücher.
    Ich kann mit der Aussage noch nicht so viel anfangen und besuche deshalb die christlich-lutherische Kirche, in der mich überraschenderweise der deutschsprachige Pfarrer Herr Hamburg empfängt. Als ich ihm von meinem Austauschprojekt erzähle, spannt er mich direkt als Küster ein: Küsterkutte an, Bibel zum Altar tragen und Hostien auf eine Schale legen – das sind nur einige Tätigkeiten, die mich seiner Religion näherbringen sollen.
    Ich frage Herrn Hamburg, ob es nicht besser wäre, alle Religionen zu einer einzigen zu verschmelzen. Pfarrer Hamburg kontert, dass er mein grünes T-Shirt gut fände, sein weißes Hemd aber auch, und auch er bekräftigt, dass gerade die Vielfalt der Religionen Anstoß zu Austausch gibt. Gleichzeitig gesteht er aber ein, dass alles Gute auch seine Schattenseiten habe, dass es leider auch schwarze Schafe unter Glaubensführern gebe, die den Austausch schwierig machen.
    Und da er das Bunte am Leben schätzt, gefällt dem Pfarrer auch eines meiner beiden Gemälde, und zwar dasfarbenprächtigste. Der Pfarrer möchte sofort tauschen. Ich bin überrascht, dass ich hier nicht erst lange Überzeugungsarbeit leisten muss, sondern sofort zur Sache kommen kann.
    Pfarrer Hamburg kommt aus der Sakristei mit zwei Bibeln zurück, eine aus dem 19. und die andere sogar aus dem 18. Jahrhundert, also wahrscheinlich 300 Jahre alt. Ich darf eine der beiden auswählen. Ich bin von der älteren Bibel begeistert, auch wenn sie ein wenig zerfleddert ist, und entscheide mich für sie. Noch am gleichen Tag kaufe ich eine Holzkiste, um den Tauschwert der Bibel durch eine seriöse Verpackung noch zu steigern und um weitere Schäden an dem Heiligtum zu vermeiden.
    Mit dem Reisegutschein, dem zweiten Gemälde, der 300 Jahre alten Bibel und den beiden Klosterbüchern gehe ich zur jüdischen Synagoge der Stadt. Ich nehme auch hier zwecks Religionsaustauschs erst mal am Gottesdienst teil, merke aber schnell, dass der Schuss nach hinten losgeht. Um mich herum stehen Gläubige auf und setzen sich, beten aus der Thora und machen Verbeugungen. Ich verstehe nichts und fühle mich unwohl, hier einfach so mitzumachen, ohne mich vorher mit den Ritualen und Gebräuchen auseinandergesetzt zu haben. Interessanterweise stört sich jedoch niemand an meinem Rumgehampel. Die Atmosphäre ist entspannt und scheint trotz aller Rituale genug Freiraum für Leute zu lassen, die sich das alles einfach nur mal anschauen möchten.
    Rabbiner Wolf lacht nach dem Gottesdienst darüber, dass ich so peinlich berührt bin, und klopft mir väterlich auf die Schultern. Im Gespräch frage ich ihn, ob die große Anzahl der Religionen wirklich den Austausch fördert oder nur Konflikte schürt. Schließlich lässt sich ja nicht ganzverleugnen, dass bei so einigen Konflikten im Weltgeschehen die Religionen eine nicht ganz unwesentliche Rolle spielen. Rabbiner Wolf erklärt mir, dass der Glaube den Zusammenhalt zwischen den Menschen dieser Gemeinschaft fördert und somit alle Schichten und Berufsgruppen zusammenbringe. Auf die Tatsache, dass es auch religionsbasierte Kriege gibt, geht er leider nicht ein.
    Zum Zeichen des interreligiösen Austauschs gibt er mir eine Thora mit den fünf Büchern Mose. Im Gegenzug erhält er mein orthodoxes Klosterbuch.
    Mit der Thora, der 300 Jahre alten Bibel, dem Reisegutschein nach Afrika und dem großen Gemälde geht es weiter, dieses Mal zur Moschee. Hier möchte ich nicht noch mal so eine Blamage erleben wie in der jüdischen Gemeinde, darum bitte ich um eine kleine Einweisung. Ich werde deshalb zusammen mit den Kindern der Moschee in die Fürbitten eingeführt. Nachdem wir Kopf und Füße gewaschen haben, sitzen zwanzig Kinder zwischen fünf und zehn Jahren und ich im Gebetsraum und proben islamische Fürbitten und Gebete. Als Geste des Austauschs bekomme ich vom Imam eine islamische Kopfbedeckung. Er schaut mich freudig an, wie schnell ich mich in seine Moschee integriert habe.
    Im Gespräch frage ich ihn ebenfalls, ob eine einzige Weltreligion nicht viele Probleme lösen und den Austausch der Menschen fördern könne. Er stimmt mir überraschenderweise zu und erklärt mir, dass wir bereits auf dem Weg zu einer Religion seien. Schließlich sind die Weltreligionen

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