Wikingerfeuer
sie sogleich zur Sache. Das sonst so helle Blau ihrer Augen wirkte düster wie ein Gewitterhimmel, als sie den Blick zu Rouwen lenkte. »Ich glaube, er hat uns verraten.«
Alle Köpfe drehten sich zu ihm. Er stand auf, machte einen Schritt über den Baumstamm hinweg und sorgte möglichst unauffällig dafür, dass sie ihn nicht umringten.
»Ich wusste es.« Yngvarr klang beinahe hämisch.
»Noch weiß ich es nicht sicher.« Rúna zog die Augenbinde von Kopf Pater Alewolds, die offenbar hatte verhindern sollen, dass er die Lage des Wikingerlagers erfuhr. »Der Mönch hier mag nämlich nicht reden.«
»Ich sagte doch, ma dame, dass ich das nicht kann!« Alewold war ein noch junger Priester mit einer Tonsur so groß wie eine Hostie. Den Rosenkranz am Gürtel hielt er so fest umklammert, dass seine Finger weiß waren.
»Wieso denn nicht?«, fragte Sverri neugierig.
»Wegen des Beichtgeheimnisses!« Pater Alewold ging in die Knie. »Bitte, bitte, tötet mich nicht, ihr Herren, bitte …«
Yngvarr stürzte auf ihn zu und packte sein Haar im Nacken, sodass er zu ihm aufsehen musste. Alewold heulte vor Angst und Schmerzen. »Du wirst reden, sonst ziehe ich dir das Fell über die Ohren und hänge dich an den Füßen am nächsten Baum auf!«
»Yngvarr! Ich habe ihn entführt, also lass die Finger von ihm!« Rúna stieß Yngvarr vor die Brust, und tatsächlich ließ er von dem jungen Mann ab und trat zurück. Sie stapfte zu Rouwen. Selbst jetzt konnte er nicht anders als ihre gewittergleiche Schönheit zu bewundern. So ähnlich mussten sich die alten Römer Bellona, die Göttin des Krieges, vorgestellt haben. Vielleicht nicht blond und auch nicht mit einem Sarazenendolch in der Hand, dennoch … Er schüttelte den Kopf, um diese närrischen Gedanken zu vertreiben.
Dicht vor ihm blieb sie stehen. Er sah die Klinge vor seinem Gesicht aufblitzen und hielt still. Sanft, beinahe zärtlich – das bilde ich mir ein – berührte sie mit der Spitze seine Wange.
Sie lächelte.
»Der Mönch redet nicht, ich hab’s vergeblich versucht. Deshalb habe ich ihn hergeschleppt: damit du an seiner Statt sprichst. Sonst überlasse ich ihn doch noch Yngvarr. Und das willst du nicht, oder? Ehrlich gesagt, tut er mir leid. Ich war froh, dass er ein so schmales Bürschchen ist, denn andernfalls wäre es mühseliger geworden, ihn herzubringen. In Yngvarrs Hände zu fallen, hat der arme Kerl nicht verdient.«
Ohne ihn zu ritzen, berührte die Spitze seine Unterlippe. Es fehlte nicht viel, und er hätte den Dolch beiseite gestoßen, um ihr Gesicht mit beiden Händen zu packen und sie zu küssen. Er sah, wie sich ihre wunderbar geschwungenen Lippen bewegten, sah, dass sie Worte formte, hörte sie auch, doch sie drangen wie aus weiter Ferne zu ihm hindurch.
… hast du ihm gesagt?
Mit aller Willensanstrengung machte er einen halben Schritt von ihr fort.
»Es ist nicht so, wie du denkst, Rúna.«
»Wie ist es denn dann?«
Sie lächelte noch immer. Doch ihre Augen blickten kühl. Nein, traurig. Enttäuscht. Gott, wie sollte er das erklären? Wenn er es tat, war sein Leben nichts mehr wert.
»Es hat nichts mit eurer Mission zu tun.«
»Womit dann?«
»Es ist ganz ohne Belang für euch. Du hast mein Wort, dass …«
»Dein Wort!«, fauchte sie. »Damit bist du ja sehr freigebig, nicht wahr? Du erwartest allen Ernstes, dass ich dich in der Stadt erwische, im Gespräch mit einem Mönch , und dir dann auf die Schulter klopfe und sage, ist schon in Ordnung, du bist ja ein Ehrenmann, Rouwen, ja? Glaubst du das?«
Er sah, dass Yngvarr Baldvins Axt ergriff und mit einem kräftigen Ruck aus dem Holz zog. Dann packte er Alewold am Schopf und zwang seinen Kopf in den Nacken.
»Wollen doch mal sehen, ob wir die Sache nicht beschleunigen können«, sagte er und hob die Axt.
Dem Pater wich endgültig alle Farbe aus dem Gesicht. Er sah aus, als würde er jeden Augenblick in eine erlösende Ohnmacht fallen.
»Musst du so übertreiben, Yngvarr?«, murmelte Rúna, ohne den Blick von Rouwen zu lösen. Offenbar war sie sich sicher, dass er den Pater nur erschrecken wollte. Nur wusste dieser es nicht, und Rouwen selbst hätte dafür auch keine Hand ins Feuer gelegt.
Er sah noch einen Moment in Rúnas Augen, las die Entschlossenheit darin, dann traf er seine Wahl. Sofern man es so nennen konnte. Im Grunde hatte er keine Wahl. Wie so oft in letzter Zeit. »Lass ihn in Ruhe«, rief Rouwen Yngvarr zu. »Ich rede.«
Der Wikinger gab dem armen Mann einen
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