Wikingerfeuer
froh sein, dass er uns nicht verraten hat. Aber … Gütige Freya, ich bin es nicht .
Yngvarr spottete noch immer; aber sie achtete nicht auf ihn. Sie konnte nicht anders, als Rouwen anzustarren, seinen Stolz, seine Würde zu bewundern. Sie wusste nicht, ob sie sich ersehnte, dass er Yngvarr angriff – dass er irgendetwas tat, was sie aus ihrer Erstarrung riss. Schließlich hielt sie seinen stillen Blick nicht mehr aus, machte kehrt und hastete am Ufer entlang.
»Lasst mein Mädchen jetzt in Ruhe«, hörte sie ihren Vater noch sagen, dann blieben die Geräusche des Lagers hinter ihr zurück.
Weit lief sie nicht, denn die hereinbrechende Nacht gab ihr schon bald das Gefühl, allein zu sein. Eine dunkle Gestalt war ihr gefolgt, den Umrissen nach war es ihr Leibwächter Hallvardr. Sie hockte sich auf einen Findling am Wasser, zog die Hirschlederstiefel und Fußlappen aus und bohrte die nackten Zehen in den Sand.
Vieles kam ihr in den Sinn: Rouwens Kristallkette, die ganz offensichtlich nicht für seine Liebste daheim gedacht gewesen war. Stígrs Runenstäbe, denen zufolge der Schaukampf mit Rouwen ihr Leben beeinflussen sollte. Was hatte denn da begonnen? Dass Rouwen sie liebte? Dass sie ihn liebte? Die Nornen, die Schicksalsgöttinnen, hatten über diesen Kampf gelacht, ganz sicher. Und lachten wohl immer noch.
»Rúna?«
Arien kam herangeschlendert, in einen dicken Umhang gehüllt. Bereitwillig machte sie ihm auf dem Stein Platz. Er ließ die Beine baumeln.
»Ist dir an den Füßen nicht kalt?«, fragte er.
»Die Kälte tut mir gut.« Sie zögerte nur kurz. »Was macht Rouwen?«
»Ist in seinem Zelt. Und was machst du?«
»Nachdenken.« Sie legte den Arm um ihn und zog ihn heran. Plötzlich lachte sie bitter auf. »Weißt du, ich fand es ja immer schade, dass es unter den Yoturern keinen gibt, der sich aufs Singen und Dichten versteht. Einen Skalden, der unsere Taten besingt. Jetzt möchte ich beinahe froh darum sein. Stell dir vor, was für ein Possenspiel er am Feuer besingen würde! ›Die Kriegerin und der Mönch‹ würde er es vielleicht nennen. Oder ›Der Krieger und die Närrin‹.« Das Lachen blieb ihr im Halse stecken, und ihr war danach, loszuheulen.
»Glaubst du wirklich, dass es stimmt?«, fragte Arien. »Dass er ein Mönch ist?«
»Er hat es doch gesagt!«
»Ja, aber …« Er hustete in seine Faust. »Ich dachte immer, Mönche sind entweder schmächtig oder dick. Auf jeden Fall schwach. So wie der, den du hergeschleppt hast.«
»Wie geht’s dem eigentlich?«
»Yngvarr hat ihn irgendwo zwischen den Zelten angebunden. Ich fürchte, er wird heute Nacht ziemlich frieren.«
»Und du auch, also ab in unser Zelt, Adlerjungchen, ja?«
Sie erhob sich und zog ihn hoch. Gemeinsam liefen sie zum Lager zurück. Rúna lieferte ihn an ihrem Zelt ab und machte sich dann auf die Suche nach dem Gottesmann. Er hockte nah am Feuer, mit angezogenen Knien, und schlotterte. Seinem Gesicht verliehen die Flammen einen rosigen Schein, doch seine Kehrseite musste ausgekühlt sein. Sie holte eine Decke und legte sie ihm um die Schultern. Er zuckte erst zurück, doch dann lächelte er dankbar.
Rúna hockte sich an seine Seite. Außer Haakon, der an den Baumstamm gelehnt schnarchte, war niemand zu sehen. Die Männer waren in den Zelten, auf dem Schiff oder auf Wache.
Der Mönch starrte auf ihre nackten Füße. »Wieso …«, murmelte er.
Rúna bewegte ihre Zehen. »Ich bin’s gewohnt. Sag, wie heißt du eigentlich? Und was bedeutet ›Pater‹? Rouwen hat dich so genannt.«
»Ich … ich …« Mit aller Kraft presste er die Lippen zusammen, damit seine Zähne nicht länger aufeinanderschlugen – inzwischen wohl eher vor Furcht als vor Kälte. Er riss sich sichtlich zusammen und sagte dann etwas gefasster: »Ich heiße Alewold. Und ›Pater‹ ist Latein und heißt ›Vater‹.«
»Vater? Du zählst doch höchstens zwanzig Sommer.« Verblüfft musterte sie ihn von oben bis unten. »Ihr Christen seid schon merkwürdig. Hat man dir eigentlich etwas zu essen gegeben?«
Er schüttelte das geschorene Haupt. Rúna stand auf und holte aus ihrem Zelt einen Beutel mit Brot, Käse und einem Rest des Hasenbratens. Dazu einen Weinschlauch und eine zweite Decke, die sie dem jungen Mann gab. Sie schnitt seine Fesseln durch, damit er essen konnte. Während er das Brotstück in den Händen wog, murmelte er ein hastiges Gebet; dann biss er gierig hinein.
Der arme Mann kam ihr wie ein verlorenes Kind vor. »Es tut mir
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