Wild Eyes - mit dem Wind um die Welt - mit 16 allein auf dem Meer
Unvorhergesehenes passierte, hatte ich zu wenig an und war sofort wieder bis auf die Knochen durchnässt. Und das hieß: noch mehr nasse Sachen, die nicht mehr trocken wurden. Nach dieser Erfahrung behielt ich auch unter Deck alle meine Kleiderschichten und mein Regenzeug an und ließ das Bullauge offen. So war es in der Kabine genauso kalt wie draußen, und wenn ich blitzschnell nach oben musste, war ich wenigstens richtig angezogen.
Am 26. März zum Beispiel, ein paar Tage vor Kap Hoorn, streikte die Selbststeueranlage. Ich versuchte es mit dem Ersatz-Autopiloten, aber es half nichts. Ich wusste, dass es in Kalifornien schon nach Mitternacht war, und ich wollte niemanden vom Team aufwecken. So steuerte ich ein paar Stunden von Hand und ging später nach unten und schrieb eine E-Mail an Scott:
Hey Scott,
habe ein Problem mit meinem Autopiloten. Sieht so aus, als ob eine Menge rosa Getriebeöl oder Hydraulikflüssigkeit ausgelaufen ist, warum, weiß ich nicht. Habe den Back-up-Autopiloten hochgefahren, aber der funktioniert auch nicht. Der Monitor bleibt schwarz. Dabei habe ich ihn vor Kurzem noch benutzt!
Seit 10.00 Uhr (pazifische Zeitzone) steuere ich von Hand, aber es wird langsam kalt da draußen und da ich weiß, dass du selten schläfst, dachte ich, ich schreibe dir schnell eine Mail. Vielleicht bist du ja schon – oder noch – auf?
Ach ja, und falls ich bis morgen nicht erfroren bin, sollten wir unbedingt mal wegen des Windgenerators telefonieren. Bin schon ganz durcheinander …
Ich klickte auf „senden“ und kletterte wieder nach oben ins Cockpit. Da duckte ich mich tief hinter die Scheibe, beobachtete Kompass und Windmesser und hielt mein Boot auf Kurs. Der Himmel und das Meer waren pechschwarz. In der Nacht bekam der Begriff „Kälte“ eine völlig neue Bedeutung für mich. Ein eisiger Wind pfiff mir mit etwa fünfunddreißig bis vierzig Knoten um die Ohren und eiskalte Wellen krachten an Deck. Ich trug zwar meinen wasserdichten Overall und darunter mehrere Schichten Hightech-Thermounterwäsche und jede Menge Funktionskleidung, doch die Wellen kamen immer von oben und liefen mir in Kragen und Stiefel. Das Wasser war kalt wie Gletscherwasser. So nass, wie ich war, hätte ich genauso gut darin schwimmen können.
Meine Hände waren inzwischen vollkommen taub. Ich trug zwar Handschuhe, doch das Wasser fand immer einen Weg. Ich hatte kein Gefühl mehr in den Fingern. Was nicht unbedingt ein Nachteil war, denn meine Haut an den Händen war aufgesprungen und verschrammt von den ständigen Reparaturarbeiten. Und bei der Nässe hätten sich die Wunden leicht infizieren können. So hatte ich in meinen gefühllosen Händen wenigstens keine Schmerzen.
Die
Wild Eyes
wurde von den Wellen hin- und hergeworfen wie ein Tischtennisball. Um mich herum war alles schwarz. Zwischendurch hatte ich Glück und erwischte eine Welle, um auf ihrem Kamm hinunterzusurfen, doch dann kam die nächste und traf mich volle Breitseite. Ich fühlte mich wie in einer riesigen Waschmaschine. Es war total crazy und irgendwie lustig. Weniger lustig war die Kälte. Mir war so was von kalt, dass ich es gar nicht beschreiben kann.
Angst hatte ich keine. Ein technischer Defekt ist kein Weltuntergang. Die
Wild Eyes
ließ sich gut von Hand steuern, und ich saß noch ein paar Stunden an der Ruderpinne, danach rief ich das Team an. Jeff stellte eine schnelle Ferndiagnose (es lag an der Elektrik) und wir sprachen durch, was zu tun war. Danach gelang es mir, den Autopiloten zu reparieren, und ich war mächtig stolz. Es war ein gutes Gefühl. Ich hatte mich durchgebissen, und das Gerät funktionierte wieder. Und der Tag schien gleich weniger grau.
Auf derselben Strecke, vor der südamerikanischen Küste, hatte ich noch ein grenzwertiges Erlebnis: meine erste unbeabsichtigte Halse als Einhandseglerin auf offener See. Ein absolut fieses Gefühl, wenn man merkt, wie das Heck auf einmal durch den Wind geht, der Großbaum unkontrolliert auf die andere Schiffsseite fegt und gegen Wanten und Backstage kracht. Ein plötzlich übergehender Baum kann Teile der Takelage kurz und klein hauen und im schlimmsten Fall zum Mastbruch führen.
Es passierte mitten in der Nacht. Ich segelte am Rand eines Sturmausläufers bei schwerem Regen. Gerade war ich nach unten gegangen, um einen Blick auf Kartenplotter und Radar zu werfen, als plötzlich der Wind drehte und ich spürte, wie mein Boot herumschwang.
Ich sprang auf und rannte nach oben. Daumennagelgroße
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