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Wild und frei

Wild und frei

Titel: Wild und frei Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elizabeth Lane
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erweisen – das erste Mal, dass jemand in diesem fremden Land ihm gegenüber freundlich gewesen war.
    Er erinnerte sich an ihr mondbleiches Gesicht in dem flackernden Kerzenlicht, an ihre großen, katzenartigen Augen, die vor Angst weit geöffnet waren. Es war ihr nicht leichtgefallen, zu ihm zu kommen – er hatte es ihr nicht leicht gemacht. Aber selbst als er sein Bestes getan hatte, ihr Angst einzujagen, hatte sie nicht den Mut verloren. Dafür zollte er ihr widerwillig Respekt.
    Und ich bin nicht undankbar für ihre Geschenke, grübelte Black Otter, während er den weichen Quilt dichter an sich heranzog. Dankbarkeit war jedoch nicht dasselbe wie Freundschaft. Alle Weißen waren seine Feinde, diese willensstarke Frau genauso wie die anderen. Wenn sich ihm jemals die Möglichkeit böte, Rache zu nehmen, würde er an diese Nacht denken und sie vielleicht am Leben lassen.
    Er hatte sich vorgenommen, nicht einzuschlafen, aber als sich die Wärme in seinem schmerzenden Körper ausbreitete, spürte er, wie ihm die Augenlider schwer wurden. Der weibliche Moschusduft des Quilts umfing ihn und weckte ein leises Verlangen im Innern seines Körpers. Er dachte daran, wie er sie durch den dünnen Stoff berührt hatte, als seine Fingerspitzen auf der Suche nach den Schlüsseln der Rundung ihrer Taille gefolgt waren. Wenn seine Hand höher – oder tiefer – geglitten wäre, hätte er dann festgestellt, dass sie so war wie die Frauen seines Volkes? Hätten seine Finger ihre Brüste gefühlt, die feuchte geheime Öffnung ihrer Weiblichkeit? Hätte sie bei seiner Berührung die Luft angehalten und gleich darauf schneller geatmet?
    Black Otter atmete tief durch und verdrängte ihr Bild aus seinem Kopf. Solche leichtsinnigen Gedanken würden ihm nur schaden. Sie würden ihn ablenken, seine Wachsamkeit verringern und dazu führen, dass er die Gelegenheit zur Flucht, die sich gewiss bieten würde, verpasste. Solch einen Fehler würde er sich nie verzeihen.
    Er blickte starr in die Dunkelheit und versuchte mit aller Kraft, die Gesichter jener Menschen heraufzubeschwören, die er liebte und an die er sich erinnerte – die anmutige Morning Cloud, die in seinen Armen gestorben war, ihre Kinder, ihre Freunde, all jene Menschen, die zu der zahlreichen, warmherzigen Großfamilie des Dorfes gehörten. Black Otter schwor sich, dass er zurückkehren würde. Ganz gleich, was dafür zu tun war und wem er wehtun müsste, er würde zurückkehren.
    Seine Augenlider wurden wieder schwer, und der Quilt war so weich und hüllte ihn ein wie die Arme einer Frau. Black Otter wurde allmählich vom Schlaf übermannt und wusste, er konnte sich nicht mehr dagegen wehren. Die Aura der weißen Frau durchdrang wie duftender Rauch seine Sinne. Er nahm ihren Duft wahr, ihren Geschmack und sah die dunkel umschatteten Augen im Kerzenlicht. Er hörte, wie sie schwer atmete, als seine Finger ihren Körper berührten.
    Als er einschlummerte, war ihr Bild das Letzte, was er vor sich sah.
    “Allmächtiger, hast du den Verstand verloren?” stellte Sir Christopher seine Tochter am Frühstückstisch zur Rede. “Was, um Himmels willen, hast du dir letzte Nacht dabei gedacht?”
    “Unser Gefangener brauchte wenigstens etwas Fürsorge.” Sie würde sich hüten zu leugnen, was sie letzte Nacht getan hatte. Den Quilt hatte man bereits im Verlies des Wilden entdeckt.
    “Die Kreatur ist gefährlich, Rowena. Er hätte dich verletzen oder sogar töten können!”
    “Wie Ihr mit eigenen Augen sehen könnt, hat er nichts dergleichen getan. Ich habe die Begegnung vollkommen unversehrt überstanden.” Rowena vermied es, ihre Handgelenke zu betrachten, auf denen sich feine, dunkle Striemen abzeichneten, wo der Wilde die Kette um sie herumgelegt hatte. Sie hatte ein Kleid mit langen, spitzenbesetzten Ärmeln gewählt, die nur eben ihre Finger frei ließen. Ihr Vater brauchte nicht alles zu wissen, was geschehen war.
    “Dieses Mal hast du Glück gehabt”, fuhr Sir Christopher sie an. “Aber dem Wilden darf man nicht trauen. Du wirst in Zukunft nichts mehr mit ihm zu schaffen haben, und das ist mein letztes Wort!”
    “Sicherlich sollte ich Eure Wünsche respektieren”, entgegnete Rowena ruhig. “Aber ich bin der einzige Mensch hier, der ihn freundlich behandelt hat. Vielleicht werdet Ihr feststellen, dass er niemandem sonst vertraut.”
    Sir Christopher fluchte leise vor sich hin, schluckte sein Bier zu hastig hinunter und bekam einen Hustenanfall. Rowena sprang sofort

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