Wild und frei
verdrehten Fuß in seinem dünnen Lederschuh sehen konnte. Sie deutete auf ihren Knöchel. “Es tut weh!” wimmerte sie. “Ich kann nicht weiter, nicht einen Schritt!”
War es ihr gelungen, ihn zu täuschen, oder hatte sie es nur geschafft, ihn wütend zu machen? Rowena hielt den Atem an, als er zuerst in die eine, dann in die andere Richtung spähte, alle Sinne aufs Äußerste gespannt, um Anzeichen einer drohenden Gefahr zu erkennen.
Licht und Schatten spielten auf seiner breiten Brust, als er innehielt und das Seziermesser in sein verfilztes Haar steckte. Unter seiner kupferfarbenen Haut gab es kein Fett, nur die sehnigen Umrisse von Rippen und Muskeln. Selbst nach dem Martyrium seiner Krankheit schien er stark genug zu sein, sie mit bloßen Händen umzubringen.
Immer noch argwöhnisch, sank er auf ein Knie, zog ihr den Schuh aus und umschloss ihre Ferse mit seiner Hand. Mit den Fingern betastete er vorsichtig ihren Knöchel durch den dünnen Wollstrumpf, Zeichen einer Verletzung suchend. Ihr stockte der Atem, als diese Finger eine Handbreit nach oben wanderten, dann zurück, wo sie das Fußgewölbe und die Zehenwurzeln massierten.
“
Pah!”
Er zog den Schuh mit einem verächtlichen Schnaufen wieder über ihren Fuß, richtete sich auf und stand drohend über ihr. Seine höhnische Bemerkung ließ keinen Zweifel daran, dass er sie durchschaut hatte.
“Nein!” Rowena bestand darauf, sich nicht von der Stelle zu rühren. “Es tut weh! Du kannst nicht verlangen, dass ich aufstehe! Außer wenn …”
Sie kam nicht dazu, den Satz zu beenden, denn er packte sie an Armen und Beinen und warf sie sich über die Schulter wie einen Sack Gerste. Kopf und Oberkörper hingen über seinen Rücken, ihre langen Haarsträhnen baumelten über die straffen Rundungen seines Hinterteils.
“Lass … mich … los!” stieß sie zwischen zusammengebissenen Zähnen hervor, obwohl sie genau wusste, dass er sich nicht darum kümmern würde. “Mein Vater wird dich rädern und vierteilen lassen! Er wird …”
Rowena blieben die Worte im Halse stecken, als ihr die schreckliche Wahrheit klar wurde. Ihr Vater würde nichts dergleichen tun. Sir Christopher würde nicht mehr da sein, um sie zu schützen, zu leiten, mit ihr zu schimpfen. Er war derjenige, der jetzt Schutz brauchte, und sie war aus dem Haus verschwunden, gerade als er sie am dringendsten brauchte.
Black Otter eilte am Bachufer entlang durch das Tal, Rowena über der Schulter. Sie hatte aufgehört, sich zur Wehr zu setzen, aber bettelte und zankte immer noch, unterbrochen von heftigen Weinkrämpfen.
Er war ernsthaft versucht, sie auf den Boden zu werfen und zu beobachten, wie sie mit dem Fußgelenk, das angeblich verletzt war, davonlief. Welch ein plumper Täuschungsversuch. Eine Amsel, die ihren Flügel hinter sich herzog, um einen Angreifer vom Nest wegzulocken, würde sich geschickter anstellen als diese eigensinnige weiße Frau. Sie hatte alles versucht, um ihn zu behindern. Er war es allmählich leid. Außerdem war er zu erschöpft, um sie weiterzuschleppen. Die lange Zeit der Gefangenschaft und Krankheit zeigte ihre Wirkung, und Rowena – sie war keine kleine Frau – schien mit jedem Schritt schwerer zu werden.
Vögel schimpften und zwitscherten in den Bäumen. Ihre Rufe klangen ihm fremd in den Ohren, aber er erinnerte sich an das Rauschen des Meeres, das von irgendwo in der Ferne zu ihm drang. Das Meer war sein einziger Weg, seine einzige Verbindung zur Heimat.
Wo der Bach sich seinen Weg abwärts zum Meer bahnte, ragten die Seitenwände des Tales höher und steiler auf. Knorrige Baumwurzeln und vorspringende Felsbrocken aus Granit machten es immer schwieriger, voranzukommen, besonders mit Rowena auf den Schultern. Jetzt zeigte sich, wie sehr sein Körper geschwächt war, und er wäre am liebsten stehen geblieben, um sie abzusetzen. Aber dann würde sie erneut versuchen, ihn aufzuhalten, und das konnte er nicht zulassen. Er musste es schaffen, das Haus möglichst weit hinter sich zu lassen, ehe die bulligen Beschützer sie vermissten und ihre Spur aufnahmen.
Black Otter blieb wie angewurzelt stehen, als er in der Ferne ein Dröhnen hörte. Zuerst klang es wie fernes Donnergrollen, aber für ein Gewitter näherte es sich viel zu rasch. Unwillkürlich duckte er sich hinter einem Felsen. Rowena rutschte von seiner Schulter und stürzte in das Farnkraut. Erst jetzt, ohne seine Last, hob er den Kopf und erspähte über den Baumwipfeln eine stabile
Weitere Kostenlose Bücher