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Wild und frei

Wild und frei

Titel: Wild und frei Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elizabeth Lane
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verlassen, nur auf ihren eigenen Verstand und ihre Findigkeit.
    Er hob ihr Kinn an und sah ihr voller Wärme und Freundlichkeit ins Gesicht. “Du jetzt gehen”, sagte er und wies mit einem Nicken in Richtung Haus. “Pferde …” Er deutete auf die Stute und den Wallach, die dampfend unter dem breiten Dachvorsprung des Stalles standen, und berührte dann seine eigene Brust. Sie wusste, er würde die Tiere hineinbringen und sie versorgen.
    “Freunde?” Er berührte sie leicht an den Schultern und probierte das Wort aus, das er sicherlich von Will gelernt hatte, denn an Bord des Schiffes konnte er es wohl kaum gehört haben.
    “Freunde.” Rowena nickte ihm durch einen Schleier von Tränen zu und dachte daran, wie sehr sie einen Freund brauchte. Morgen läge ihr Vater in seinem Grab. Bisher waren die Dienstboten noch ihre Verbündeten, aber ihre Loyalität würde zwangsläufig bald dem gehören, von dem sie annahmen, dass er das Sagen hatte. Sie konnte auf keinen von ihnen zählen, nicht einmal auf Thomas und Dickon. Wider alle Vernunft war der einzige Mensch, dem sie voll vertraute, dieser unberechenbare wilde Mann, der noch nicht einmal wusste, wie man ein Pferd aufzäumte.
    Der Himmel steh mir bei!
    Der Himmel steh uns beiden bei!
    Black Otter sah Rowena nach, als sie davonging. Sein Blick folgte dem glitzernden Mondlicht auf ihrem feuchten Haar, während sie über den Hof in das finstere Haus entfloh. Selbst nachdem sie verschwunden war, starrte er weiter in die Dunkelheit, seine Sinne erfüllt von ihrem Anblick, ihrem Duft und der Berührung ihrer Haut.
    Mehr konnte er nicht tun, als sie heute Nacht wegzuschicken. Selbst jetzt noch schmerzten seine Lenden von der Zurückhaltung, die er sich auferlegt hatte. Sie brauchte so sehr Liebe, diese zärtliche, leidenschaftliche Frau. Sie war so einsam, so verloren und verwundbar, dass es ihm ins Herz schnitt, jedes Mal, wenn er sie ansah.
    Aber er durfte sich nicht darauf einlassen, sie zu begehren. Es gab nur eins, was er wirklich wollte. Und das war zurück in seine Heimat zu gehen.
    Er schloss die Augen, um das sanfte, liebreizende Gesicht von Morning Cloud aus der Erinnerung heraufzubeschwören. Sie war die vortrefflichste aller Frauen gewesen, gehorsam, demütig und nachgiebig. Sie hatten viele gute Jahre zusammen verlebt, ohne die Missklänge, die so viele Paare plagten. Aber schon jetzt, nach wenigen Monden, war es Black Otter, als ob ihre Züge anfingen, in seiner Erinnerung zu verblassen.
    Mit einem tiefen Seufzer wandte er sich von der offenen Tür ab. Morning Cloud war nicht mehr am Leben. In jener schrecklichen Nacht, die sein Leben für immer änderte, war sie in seinen Armen gestorben. Aber Singing Bird und Swift Arrow – ja, ihre strahlenden jungen Gesichter hatte er deutlich in Erinnerung. Sicherlich würden auch ihre Gesichter verblassen, wenn sie tot wären. Er musste daran glauben, dass sein Sohn und seine Tochter den Angriff auf das Dorf überstanden hatten, dass sie am Leben waren, das Meer beobachteten und auf seine Rückkehr warteten.
    Ganz gleich, was geschah, er durfte sie nicht im Stich lassen. Er durfte niemand erlauben – weder Pferd noch Frau –, ihn an dieses neue Land zu binden. Alles, was er hier lernte, würde er zu seinem Vorteil nutzen, genau wie er die Freunde und Verbündeten benutzen würde, die er hier fände. Aber von dem Augenblick an, da seine Füße den heimatlichen Boden berührten, wäre er wieder ein Lenape. Er würde die Sprache, die Kleidung und das Verhalten der Weißen ablegen und alles vergessen, was ihn an dieses verhasste Land und seine Bewohner erinnerte.
    Selbst das Andenken an Rowena.

10. KAPITEL
    Aus den aufreibenden Tagen waren Wochen geworden – jede voller Ungewissheit.
    Gleich am Tag nach der Beerdigung hatte Bosley Sir Christophers Rechnungsbücher zu sehen verlangt. Sie hatte sie ihm bereitwillig ausgehändigt. Wie viele Männer, deren Geist sich in höheren Sphären bewegte, hatte ihr Vater keine gute Hand für praktische Dinge gehabt. Seine Art der Buchführung war so willkürlich gewesen, dass Rowena im Stillen ihre eigenen, genaueren Bücher geführt hatte.
    Das verschaffte ihr zumindest das traurige Vergnügen, Bosley über den schweren Hauptbüchern schwitzen zu sehen, der fluchte, während er sich abmühte, Sir Christophers wirre Denkweise und geheimnisvolle Schrift zu entschlüsseln. Erst nach vielen Tagen kam er zu dem Ergebnis, zu dem Rowena schon vor langer Zeit gekommen war: dass sich

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