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Wild und frei

Wild und frei

Titel: Wild und frei Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elizabeth Lane
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in den Weg stellte.
    Die hellhaarige Frau ging vor ihm. Sie raffte ihre Röcke hoch, während sie zwischen den Pfützen hindurchtrippelte. Ich werde sie
Sangwe
nennen, das Wiesel, beschloss Black Otter. Der Name passte zu ihrer zierlichen Gestalt und dem harten, räuberischen Ausdruck ihrer Augen. Ihr Kleid war sehr kostbar, viel feiner als Rowenas einfaches schwarzes Trauergewand. Es war offensichtlich, dass sich das Wiesel für eine Schönheit hielt, und vielleicht war sie das auch nach den Maßstäben der Weißen. Aber er konnte keine Wärme in ihr erkennen, keine Spur der tiefer gehenden, größeren Schönheit, die er bei einer anderen gefunden hatte.
    Black Otters Blicke folgten Rowena, bis sie schweigend ins Haus gegangen war – so stolz, so schön und so traurig war sie, dass er sich schmerzlich nach ihr sehnte. In seinem eigenen Land wäre es eine einfache Sache,
Chingwe
zu einem fairen Kampf herauszufordern, ihn in Anwesenheit des Stammesrates zu töten oder Schande über ihn zu bringen und Rowena zur Frau zu nehmen. Hier in England war alles anders – und er war gerade dabei zu lernen, wie anders alles war.
    Die letzten beiden Monde hatte er damit verbracht, nachts, wenn die Bewohner des großen Hauses schliefen, die Umgebung zu erkunden. Manchmal war er zu Fuß unterwegs, bewegte sich wie ein Schatten über das mondbeschienene Moor, huschte am Rand der Klippen entlang oder durchstreifte so geschickt die bewaldeten Täler, dass er fast nicht zu sehen war – wie die wilden Tiere, die dort lebten.
    Ab und zu stieß er auf einen kleinen Bauernhof mit einfachen steinernen Nebengebäuden und Häusern, die nicht größer waren als die Wigwams seines Volkes. Nachdem er die Hunde mit sanften Worten beschwichtigt hatte, schlich er sich dicht an die Fenster und belauschte die Gespräche der Männer, Frauen und Kinder im Innern. Einmal war er zufällig auf einen Mann und eine Frau getroffen, die sich zusammen auf ihrem Strohbett wälzten. Er hatte sich schnell davongemacht und sie ihrem Keuchen und Stöhnen überlassen, aber seine Einsamkeit hatte ihn noch bis zum Morgengrauen geschmerzt.
    Ein anderes Mal war er an einen Ort gekommen, wo sich zwei Straßen kreuzten, mit einem knorrigen und unbelaubten Baum als Kennzeichen. Von einem dicken Ast hing der verwesende Leichnam eines Mannes und schwang im Nachtwind hin und her, an einem Strick baumelnd, der eng um seinen Hals gezogen war. Black Otter hatte da schon gewusst, dass die Engländer manche Verbrecher auf diese Weise bestraften. Aber ihn packte dermaßen das Grauen, dass ihm schlecht wurde. Er lief schnurstracks zum Stall zurück und verzichtete während der nächsten drei Nächte auf seine Streifzüge.
    Hin und wieder stieg er auf das schwarze Pferd und ritt zu einem Dorf oder einer Stadt. Nachdem er den Wallach in einem nahe gelegenen Wald versteckt hatte, wanderte er wie ein gewöhnlicher Besucher durch die Straßen. Auf diese Weise erfuhr er viel mehr über das Leben in England, als Rowena oder der Junge ihm beigebracht hatten.
    Er musste feststellen, dass es in diesem Land der Wunder Menschen gab, die weitaus ärmer und hungriger waren als die unglücklichsten Angehörigen seines Stammes. Er erfuhr, dass gewisse Getränke die Kraft hatten, Männer in plärrende, torkelnde Narren zu verwandeln, und dass diejenigen, die an diesen Getränken Gefallen fanden, alles dafür taten, sie zu bekommen.
    Ihm war klar geworden, dass sich das Leben in den Städten darum drehte, Geld zu bekommen – diese kleinen, nutzlosen Scheiben aus Gold und Silber mit dem Antlitz der Königin darauf, die in etwa dem gleichen Zweck dienten wie Muschelschalen bei seinem Volk. Er hatte Männer gesehen, die für Geld schufteten, darum spielten oder kämpften. Es gab Frauen, die für Geld Fremden ihren Körper anboten, und er hatte gelernt, dass ohne diese verfluchten, kleinen Metallstücke fast gar nichts ging.
    Eines Nachts, als der Vollmond hell über dem Moor schien, war er auf dem schwarzen Hengst den ganzen Weg bis zu der großen Stadt galoppiert, die dort lag, wo der Fluss ins Meer mündete. Er durchstreifte den Hafen und betrachtete die großen Schiffe mit einer Mischung aus Bewunderung und Abscheu. Es wimmelte von Seeleuten, und er hatte mit einigen von ihnen gesprochen. Aber auf seine Frage, welche Schiffe wohl in die Neue Welt segelten, hatte er immer nur ein Kopfschütteln oder Schulterzucken als Antwort bekommen.
    “Nur Narren und Piraten würden sich so weit

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