Wild und frei
Argwohn zu wecken? Wo konnte sie einen ehrlichen Käufer und einen verlässlichen Kapitän finden?
Aber eins nach dem anderen. John Savage außer Gefahr zu bringen, war der vordringlichste Teil ihres Planes. Der Rest musste warten, bis das geschafft war.
Entschlossen machte sie das Kästchen zu und schob es zurück in sein Versteck. Ja, ihre Mutter würde dieses gewagte Unternehmen gutheißen. Lady Marian Thornhill war eine gütige Frau mit einer glühenden Liebe zu Wahrheit und Gerechtigkeit. Es wäre sicher ihr Wunsch, das Unrecht ihres Mannes um jeden Preis wieder gutzumachen.
Rowena öffnete ihre Kammertür vorsichtig nur einen Spaltbreit. Da niemand zu sehen war, schlich sie sich auf den Flur und verriegelte die Tür hinter sich. Dann eilte sie die Treppe hinunter, lief am anderen Ende der Eingangshalle entlang und schlüpfte durch die Eingangstür, wo die Diener sie nicht so leicht sehen würden.
Als sie schließlich den Vorbau erreicht hatte, klopfte ihr Herz wild, während ihre Blicke die freie Landschaft bis zur Straße und dahinter überflogen. Es war niemand in Sicht, also lief sie im weiten Bogen ins Moor, machte kehrt und rannte dann, so schnell sie konnte, zum Stall. Als sie den Hintereingang erreichte, ließ sie sich gegen den Türrahmen fallen und rang nach Atem. Gütiger Himmel, wie sehr ihr davor graute, John Savage gegenüberzutreten. Sie schauderte bei dem Gedanken, in diese dunklen Augen zu blicken. Wie konnte sie es ertragen, ihn anzusehen, wenn sie wusste, was zwischen ihm und Sibyl in der Nacht zuvor geschehen war?
Dann zwang sie sich, nicht mehr an ihren Schmerz zu denken, öffnete die Tür und trat ein. Einen Augenblick stand sie blinzelnd in der Finsternis, umgeben von den gewohnten Gerüchen nach frischem Heu und Dung. Erst als sich ihre Augen an die Dunkelheit gewöhnt hatten, sah sie ihn, wie er nur wenige Schritte entfernt in Blackamoors Stall stand und das Fell des Wallachs striegelte, bis es wie Ebenholz schimmerte.
“Rowena.” Er flüsterte ihren Namen. Die Metallbürste fiel ins Stroh, als er aus dem Stall auf sie zukam und sie dabei nicht aus den Augen ließ. Die Erleichterung und das Vertrauen, die in seinem Blick lagen, wirkten so echt, dass sie vielleicht darauf hereingefallen wäre, wenn sie seinen Verrat nicht selbst gesehen hätte.
“Geht es dir gut?” Seine Stimme klang so besorgt, so zärtlich. Oh, wie sehr sie ihn hasste!
“Ich konnte nicht schlafen letzte Nacht, ich hatte solche Angst, er könnte dir etwas zuleide tun.” Er näherte sich ihr, so als wollte er sie in die Arme schließen, aber sie wich zurück, erfüllt von einer kalten Wut, die sie kaum zügeln konnte.
“Was hast du?” Seine Miene verfinsterte sich. “Hat er …”
“Nein.” Rowena trat langsam zurück.
Er war es nicht, der mich verletzt hat!
wollte sie ihm ins Gesicht schreien.
Du warst es – du hast mich verletzt!
“Komm zu mir”, sagte er sanft. “Ich möchte dich ansehen.”
Rowena stolperte rückwärts gegen den Wagen. “Rühr mich nicht an!”, flüsterte sie und verachtete sich für ihre aufgewühlten Gefühle. “Ich bin nur gekommen, um dich zu warnen, denn du bist in Gefahr. Wenn Bosley herausfindet, wer du bist – und vielleicht hat er das bereits –, wirst du nie wieder frei sein. Wir müssen dich hier herausbringen – und zwar jetzt!”
Er sah sie voller Bestürzung an. “Was hat er mit dir gemacht? Wenn er …”
“Nein!”, schrie sie ihm ins Gesicht. “Bosley hat mich nicht angerührt! Ganz bestimmt nicht so, wie du letzte Nacht …” Sie verstummte, wollte nur noch aus dem Stall fliehen und ihn am liebsten seinem Schicksal überlassen, obwohl sie wusste, dass sie ihn nicht aufgeben konnte. Er war ihr Schützling, sie trug für ihn die Verantwortung.
Plötzlich leuchtete Verständnis in seinem Blick auf. “Rowena, ich habe nicht …”
“Nein, versuch nicht, es zu leugnen!”, erwiderte sie voller Wut und wusste doch, dass sie sich verzweifelt danach sehnte, zu hören, wie er alles abstritt. “Ich weiß, was ich gesehen habe, und mehr gibt es dazu nicht zu sagen. Was du mit einer Frau machst, geht mich nichts an …”
“Rowena!” Er fasste sie an den Schultern, packte mit seinen kräftigen Händen so fest zu, dass sie zusammenzuckte. Der Blick seiner schwarzen Augen schien bis auf den Grund ihrer verwundeten Seele zu dringen.
“Was du gesehen hast”, er sprach langsam und bedächtig, rang nach Worten. “Es war nicht, wie du denkst. Sie kam
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