Wild und frei
Gebräuche der Weißen zu lernen. Schluss damit! Er war ein Krieger, und von seinen Feinden, den Weißen, hatte er nichts als Verrat erfahren. In der restlichen Zeit, die ihm noch bliebe, wollte er sie mit allem bekämpfen, was er hatte – mit der zurückkehrenden Kraft seines Körpers, mit aller Hinterlist, die sein Verstand ersinnen konnte, und mit dem Hass, der sich in den vergangenen Monden in seinem Herzen aufgestaut hatte. Wenn er schon sterben musste, so wollte er wenigstens wie ein Krieger sterben, umringt von den Körpern seiner gefallenen Feinde. Oh, Großer Mesingw, was würde er nicht geben für einen Bogen und Pfeile oder zumindest ein Messer …
Ein leises Rascheln drang an seine Ohren, wirbelte seine Gedanken durcheinander und verursachte ihm Übelkeit, denn es weckte eine Angst in ihm, gegen die er machtlos war. Er wappnete sich gegen ihren Ansturm, da er nichts tun konnte, um sie aufzuhalten.
Die Ratten waren zu ihm zurückgekehrt.
“Bitte!” Rowena sah zu dem ungeschlachten Rohling auf, den Bosley angeheuert hatte, damit er den Eingang zum Keller bewachte. “Nur für einen Augenblick. Ich habe eine Goldmünze in meiner Tasche. Sie gehört dir. Du brauchst weiter nichts zu tun, als nicht hinzusehen oder kurz auf den Lokus zu verschwinden.”
Der Mann, der größte von den drei Raufbolden aus dem Dorf, die den Wilden gefangen genommen hatten, blinzelte sie aus seinen kleinen, kurzsichtigen Maulwurfsaugen an. “Nee, Mistress, ich hab meine Befehle. Master Bosley lässt mich strecken und vierteilen, wenn ich Euch nach unten lasse. Kann ich nicht machen.”
“Oh, nicht einmal für einen Kuss?” Sie versuchte, kokett zu ihm aufzuschauen, und dachte daran, dass es auch nicht schlimmer sein konnte, diesen übel riechenden Rüpel zu küssen, als Bosleys Kuss über sich ergehen zu lassen.
Er rülpste und leckte sich aufgeregt die Lippen, schüttelte dann aber doch den Kopf. “Beim Himmel, Mistress, das wär schon ein Vergnügen, aber Ihr seid ja dem Master versprochen. Er würd mir für so was das Fell abziehen wie einem verdammten Hasen!”
“Dann tu es doch aus christlicher Barmherzigkeit!”, bettelte Rowena und fasste den Kerl voller Verzweiflung am Arm. “Ein Mensch leidet da unten in dem schrecklichen dunklen Kerker! Wenn du mir nur erlaubst, für ein paar Augenblicke …”
“Was ist hier los?” Bosleys wütende Stimme hallte den langen düsteren Flur entlang. “Rowena, ich habe Euch klar und deutlich befohlen, nicht in die Nähe des verdammten Zigeuners zu gehen!”
“Ich weiß”, sagte sie voller Abscheu. “Ich wollte nur sehen, wie es seiner Schulter geht, und mich vergewissern, dass die Stiche nicht eitern. Erlaubt mir zumindest, das zu tun, wenn Ihr noch einen Funken Anstand im Leib habt.”
“Was geht es mich an, ob die Stiche eitern oder nicht?” Er stolzierte den Flur entlang, sich seiner unumschränkten Macht über sie wohl bewusst. Sein vorstehender Bauch hüpfte leicht beim Gehen. In den vergangenen zwei Monden hatte er es sich in ihrer Küche gut schmecken lassen.
“Es ist in Eurem ureigensten Interesse, den Zigeuner bei guter Gesundheit zu halten”, erwiderte sie, bemüht, ihr Temperament zu zügeln. “Wenn er stirbt, habt Ihr keine Macht mehr über mich.”
Bosley blickte missmutig von oben auf sie herab. “Nach allem, was ich höre, ist der Bastard so gesund wie ein Pferd”, fuhr er sie an. “Aber wenn ich Euch noch einmal erwische, wie Ihr versucht, nach unten zu schleichen, wird Euer Zigeuner dafür bitter bezahlen. Es gibt genügend Möglichkeiten, einen Kerl zu bestrafen, auch ohne ihn zu töten oder zu entmannen. Ein Ohr … ein Finger … vielleicht ein Auge …” Er hielt inne, damit sie sich die Einzelheiten ausmalen konnte.
Rowena erschauderte, ihr war klar, er würde nicht zögern, seine Drohungen wahr zu machen, wenn nicht gar Schlimmeres. Sie hatte darauf gehofft, zumindest mit John Savage sprechen, ihm vielleicht einen Schlüssel oder ein Messer zustecken zu können. Aber sie durfte die schrecklichen Gefahren nicht heraufbeschwören, die Bosley gerade angedeutet hatte.
“Ihr könnt sowieso nicht zu ihm”, sagte Bosley. “Ich habe ein neues Schloss am Kerker angebracht, und der einzige Schlüssel zu seinen Ketten scheint der zu sein, den ich im Nachttisch Eures Vaters gefunden habe …”
“Als Ihr Euch die Dinge in seinem Zimmer angeeignet habt!” Rowena bot ihm die Stirn, unfähig, noch länger den Mund zu halten. “Ihr hattet
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