Wild und frei
sich, insbesondere weil sie sich schon lange wunderte, woher Bosley das Recht nahm, sie beiseite zu drängen und alles an sich zu reißen. Aber nach dem Tod seiner Frau hatte Sir Christopher sich fast völlig zurückgezogen. Advokaten und dergleichen hatte er zutiefst misstraut und nie Freundschaften von der Art geschlossen, die jetzt hilfreich sein könnten.
Bosley töten? Vielleicht mit Gift? Sie verzog den Mund zu einem bitteren Lächeln. Das war nur ein Hirngespinst, weiter nichts. Selbst falls sie damit durchkäme, sie hatte nicht das Zeug zur Mörderin. Nein, es musste eine andere Lösung geben.
Rowena setzte sich auf den Rand ihres Bettes und zermarterte sich verzweifelt das Gehirn. Am allerwichtigsten war es, den Wilden aus dem Keller herauszuholen, ehe er dort zugrunde ging. Der Rest … ja, der Rest konnte warten.
Zumindest schien Bosley nicht zu wissen, wer der Wilde wirklich war. Er bezeichnete ihn immer noch als “den Zigeuner” oder als ihren Liebhaber. Wenn Bosley zwischen Sir Christophers Papieren auf die Rechnung gestoßen war, so hatte er sich das bisher nicht anmerken lassen …
Doch dann kam ihr auf einmal ein ganz anderer Gedanke. Rowena sprang vom Bett, ihr Herz klopfte, als sie erkannte, was für ein glänzender Einfall das war – eigentlich ein verwegener Plan. Sie konnte kaum glauben, dass gerade ihr so etwas durch den Kopf geschossen war.
Es würde gelingen – es
musste
gelingen. Aber um ihren kühnen Plan durchzuführen, würde sie einen neuen und sehr unwahrscheinlichen Verbündeten brauchen.
Mit klopfendem Herzen öffnete sie die Tür, schlüpfte hinaus auf den Flur und verschloss sie wieder sorgfältig. Die Tür zu Sibyls Kammer war angelehnt, ein gutes Zeichen, das darauf schließen ließ, dass das Mädchen ihr ein Frühstückstablett gebracht hatte und das lästige Frauenzimmer nicht mehr schlief.
“Sibyl?” Rowena klopfte vorsichtig an der Tür.
“Ja?” Sibyls kehlige Stimme klang noch ganz rau. Schläfrigkeit und das Bier vom Vorabend waren unverkennbar.
“Darf ich hineinkommen? Es sieht so aus, als ob ich Euch um einen Gefallen bitten müsste.”
“Einen Gefallen? Das könnte unterhaltsam werden. Kommt doch herein und erzählt mir davon.”
Rowena öffnete die Tür ganz, trat ein und stand Sibyl gegenüber, die gegen ihre Kissen gelehnt im Bett saß, das Haar in Unordnung hatte und mit ihrer verschmierten Schminke um die Augen und dem blassen Mund mehr denn je wie ein Frettchen aussah. Das Frühstück, Haferbrei und Eier noch unberührt, lag auf dem Speisenbrett auf ihrem Schoß, während sie Rowena argwöhnisch musterte. “Nun also?”, fragte sie.
“Erinnert Ihr Euch an den Tag, als Edward seine Absicht kundtat, mich zu heiraten? Ihr wart dabei, Sibyl. Ihr sagtet, wir würden Schwestern sein, und Ihr wolltet mir helfen, dieses düstere alte Haus herauszuputzen.”
“Ich erinnere mich.” Sibyl gähnte. Es dauerte eine Weile, bis sie richtig wach wurde.
“Ich habe über das nachgedacht, was Ihr sagtet. Und ich muss gestehen, Ihr habt recht. Wir brauchen tatsächlich etwas Aufmunterung – gutes Essen, Musik, Spiele, anregende Unterhaltung …”
Allmählich kam Leben in Sibyl. “Habe ich Euch recht verstanden?”
“Ja.” Rowena ergriff ihre Hände und spielte ihre Rolle wie eine erfahrene Schauspielerin. “Ich möchte, dass Ihr mir helft, ein rauschendes Fest zu geben, wie man es in dieser Grafschaft noch nie gesehen hat!”
14. KAPITEL
Sibyl reagierte genau, wie Rowena es sich erhofft hatte. Vom Landleben zu Tode gelangweilt, stürzte sie sich auf den Plan, ein Fest zu geben. Selbst dass Rowena darauf bestand, die Sache innerhalb von zwei Wochen durchzuführen, konnte ihre Begeisterung nicht dämpfen.
“Wir müssen leider alles am Ort kaufen und uns auf die Kochkünste der Dienerschaft verlassen. Die Zeit reicht einfach nicht aus, um in London edle Weine zu bestellen und einen richtigen Koch für die Zubereitung der Braten und Pasteten kommen zu lassen, aber das ist eben nicht zu ändern. Für die tiefste Provinz von Cornwall werden wir auch so ein prächtiges Fest ausrichten, nicht wahr?” Sie strich sich ihr zerzaustes Haar aus dem Gesicht, und ihre Augen funkelten. “Ich kümmere mich um die Speisenfolge und die Unterhaltung – ach, du meine Güte, wo sollen wir nur so kurzfristig Musik herbekommen?”
“Es gibt da einen Gasthof in Falmouth, der wandernde Musikanten beschäftigt. Überlasst das ruhig mir”, bot sich Rowena an und
Weitere Kostenlose Bücher