Wild und frei
dachte dabei, dass ihr ein Ausflug in die Stadt gerade recht käme, besonders wenn sie sich allein auf den Weg machen konnte.
“Die Große Halle und alle Räume müssen gereinigt werden”, sagte Sibyl. “Leider reicht die Zeit nicht aus, um neue Wandbehänge zu bestellen – eine Schande, denn die alten vermodern schon auf ihren Stangen, aber …” Sie zuckte geziert ihre Schultern. “Und ich nehme an, wir müssen sehen, dass wir mit dem Leinen, das da ist, zurechtkommen.”
“Im Dachgeschoss steht noch eine Truhe Tischwäsche”, sagte Rowena. “Wenn sie nicht gerade voller Stockflecken ist, müsste sie ausreichen. Bettzeug werden wir nicht brauchen. Wir laden nur die Nachbarn ein, die nah genug wohnen, um am gleichen Tag wieder abreisen zu können.”
“Wie sieht es mit Geschirr aus?”, fragte Sibyl.
“In dem einen Schrank in der Küche stehen noch reichlich Schüsseln und Pokale. Die früheren Generationen der Thornhills waren gesellige Leute, nicht solche Einzelgänger wie mein Vater und ich. Wir haben alles aufgehoben.”
“Ausgezeichnet!” Sibyl nahm Rowena bei der Hand und zog sie zu sich nach unten, bis sie auf der Bettkante saß. “Und vielleicht können wir draußen auch einen Zeltpavillon aufbauen …”
“Ich glaube, im Stall haben wir ein Zelt aufbewahrt.” Rowena mit ihrem nüchternen Verstand war schon aus alter Gewohnheit damit beschäftigt, die Kosten des Festes zusammenzurechnen. Selbst eine bescheidene Feier würde die bescheidenen Geldmittel des Gutes verschlingen. Ihr schauderte bei dem Gedanken, was es kosten würde, wenn Sibyl mehr Zeit hätte, ihre Pläne in die Tat umzusetzen. Wie dem auch sei, was machte es schon aus? Es standen wichtigere Dinge auf dem Spiel als Geld.
“Ich muss darauf bestehen, dass Ihr mir freie Hand bei den Dienern lasst”, sagte Sibyl. “Ihr lasst ihnen viel zu viel durchgehen. Mittlerweile sind sie richtig schlampig geworden, und dafür gibt es nun wirklich keine Entschuldigung. Hat Eure Mutter Euch denn nicht beigebracht, wie man ein Haus ordentlich führt?”
Rowena zog es vor, diese Frage zu überhören. “Ich werde den Dienern auftragen, Euren Befehlen zu folgen”, sagte sie. “Nun zur Gästeliste …”
“Ah, das müsst wohl
Ihr
übernehmen, da ich ja die Nachbarn nicht kenne. Kann ich mich darauf verlassen, dass Ihr Euch auch wirklich auf Personen von Rang und Namen beschränkt?”
“Aber gewiss.” Rowena atmete tief durch, um ruhig zu bleiben.
“Kein gewöhnliches Volk. Unser lieber Edward hat seinen ersten gesellschaftlichen Auftritt als der zukünftige Herr von Thornhill Manor. Es wäre sehr zu seinem Vorteil, und zu Eurem, Rowena, wenn es ihm gelänge, einflussreiche Freunde zu finden. Das versteht Ihr doch?”
“Sicherlich.” Rowena schluckte die bissige Bemerkung herunter, die ihr auf der Zunge lag.
“Nun zu den Einladungen. Wir müssen sie so schnell wie möglich abschicken. Kann ich mich dabei auf Euch verlassen?”
Rowena zögerte und seufzte. “Nun ja, einer muss die Aufgabe schließlich übernehmen. Wenn Ihr die Diener beaufsichtigt, schreibe ich die Einladungen noch heute, und die Stalljungen können sie morgen austragen.” Sie gab sich alle Mühe, unbekümmert zu klingen, und es gelang ihr tatsächlich, die Anspannung zu verbergen, die sie innerlich zittern ließ. Die Einladungen waren der Schlüssel zu ihrem ganzen Plan. Es war von entscheidender Bedeutung, dass sie selbst sie schrieb und ihre Verteilung überwachte.
“All diese Kritzelei! Solch eine langweilige Arbeit, meine Liebe, aber gerade das Richtige für ein gelehrtes Geschöpf, wie Ihr es seid.” Sibyl mit ihren zarten Fingern umschloss Rowenas Handgelenk, ihre Nägel waren so scharf wie die Krallen eines Neuntöters. “Ach, meine Liebe, wenn Ihr erst mit dem guten Edward vermählt seid, werden wir jede Saison Feste geben! Wenn ich nur an die Heiterkeit denke – die Kleider, der Wein, die Musik! Ich werde meine Londoner Freunde einladen! Ihr könnt Euch gar nicht vorstellen, was …”
“Ich glaube, ich sollte jetzt wirklich mit den Einladungen anfangen.” Rowena machte sich los und rappelte sich mühsam hoch. “Habt Ihr einen besonderen Wunsch, was ich schreiben soll?”
Sibyl spitzte ihre ungeschminkten Lippen. “Das Übliche, würde ich sagen. ‘Mistress Rowena Thornhill gibt sich die Ehre, anlässlich ihrer Verlobung mit Mister Edward Bosley am …’”
“Das kann ich wohl kaum schreiben”, unterbrach Rowena sie. “Die
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