Wild und frei
Advokaten Eures Bruders sind doch immer noch damit beschäftigt, die Rechtmäßigkeit einer solchen Verlobung zu klären.”
Von Sibyl kam ein kleiner Laut gespielten Entsetzens. “Oh, zum Kuckuck! Ich glaube, Ihr habt recht. Nun ja, dann müsst Ihr Euch eben etwas anderes einfallen lassen. Ihr seid doch eine gescheite Frau – Ihr könnt Euch bestimmt etwas Passendes ausdenken.”
“Ja, das dürfte nicht so schwierig sein. Falls ich Hilfe brauche …”
“Aber sicher. Ihr könnt mich gern jederzeit fragen! Ich bin unten, um die Diener einzuteilen!”
Rowena entschuldigte sich und eilte zurück in ihr Zimmer. Ihre Hand zitterte so sehr, dass sie es kaum schaffte, den Schlüssel ins Schloss zu stecken. Sie hatte erreicht, was sie wollte, Sibyl für ihre Sache einzuspannen war wirklich leicht gewesen. Aber der nächste Schritt würde John Savage in Gefahr bringen. Sie setzte alles aufs Spiel, der Einsatz war so hoch, dass vielleicht auch der Wilde zögern würde, dabei mitzuspielen. Aber gar nichts zu tun barg noch viel größere Gefahren.
Sie verriegelte die Tür hinter sich. Dann, an ihrem kleinen Schreibtisch sitzend, legte sie sich Papier bereit, füllte ihr Tintenfass und schärfte einen Federkiel. Wie schreibt man nur eine Einladung? überlegte sie. Gütiger Himmel, hatte sie überhaupt jemals eine erhalten? Welches waren die richtigen Worte? Sollte sie zu Sibyl gehen und sie fragen?
Nein? Gut, dann los! Sie schüttelte ihre Hemmungen ab, tauchte den Federkiel in die Tinte und hielt ihn zögernd über das erste Blatt Papier. Die Nachricht, die sie mitzuteilen hatte, war so einzigartig, dass man sicher darüber hinwegsehen würde, wenn die Wortwahl nicht ganz den höflichen Umgangsformen entsprach.
Sie atmete tief durch, setzte die Feder aufs Papier und fing mit verzweifelter Hast an zu schreiben.
Black Otter hob den Kopf, als der Lichtschimmer am oberen Ende der Treppe sichtbar wurde. Er zwang sich, ruhig zu bleiben, während die Tür sich quietschend öffnete und mehr Licht durch die rechteckige Öffnung hereinfiel. War es diesmal Rowena? Sein Herz schlug schneller vor Freude, wurde gleich darauf aber schwer, als er die massige Gestalt und den Federhut von Bosley erkannte, der inzwischen nicht einmal mehr die Bezeichnung
Chingwe
verdiente. Ihm auf dem Fuß folgte, eine Fackel haltend, einer der drei Grobiane, die ihm als Leibwächter und Gefangenenwärter dienten.
Black Otter verharrte still in der Dunkelheit der Zelle, ohne zu erkennen zu geben, dass er seinen Besucher bemerkt hatte. Bosley war schon zwei Mal heruntergekommen, offensichtlich aus keinem anderen Grund, als um seinen Gefangenen zu quälen. Black Otter drehte sich mit dem Rücken zu den Gitterstäben, entschlossen, ihn keiner Antwort zu würdigen. Als der Fackelschein auf ihn fiel, saß er mit untergeschlagenen Beinen inmitten des Kerkers auf dem Boden, seine Handgelenke und Knöchel von den schweren eisernen Ketten wund gescheuert, sein Körper übersät mit eitrigen Rattenbissen. Wie zuvor richtete er seine Gedanken auf einen fernen Traum – einen sonnendurchfluteten Wald an einem glitzernden Fluss, eine Lichtung, wo wohlriechender Holzrauch von den Herdfeuern zwischen den Hütten aufstieg, wo die Luft erfüllt war vom Gesang der Vögel und dem Lachen wunderschöner schwarzäugiger Kinder …
“So, du lebst also immer noch, Zigeuner, was?” Bosley stand vor den Gitterstäben und wartete auf eine Antwort, die nicht kam.
“Du weißt ja, du wirst sie nie wieder sehen”, fuhr er fort und genoss es, in der Wunde herumzustochern. “Rowena gehört jetzt mir, in jeder Bedeutung des Wortes, und wir werden heiraten, sobald meine Advokaten alles geregelt haben.” Schweigend wartete er auf die Wirkung seiner Worte. “Sie liebt mich so, wie sie dich nie geliebt hat. Wahrhaftig, gerade letzte Nacht, als alles schlief, kam sie in mein Bett gekrochen. Ah … sie ist einfach unersättlich! Ich habe sie so viele Male gehabt, ich konnte heute Morgen kaum laufen. Ich fürchte, wenn wir rechtmäßig verheiratet sind, trägt sie bereits mein Kind in ihrem Leib.”
Black Otter versuchte, die Ohren vor diesen Sticheleien zu verschließen, aber er spürte, wie die Worte und Bilder sich in ihn hineinfraßen. Lügen oder nicht, der Gedanke an Rowena in den Armen eines anderen Mannes war die schlimmste Folter. Obwohl sie ihm nie gehört hatte – und ihm auch nie gehören würde –, hatte sie die schreckliche Leere in seinem Herzen ausgefüllt und
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