Wild wie das Meer (German Edition)
gekommen. Wir können es uns nicht leisten, sie angemessen in die Gesellschaft einzuführen, Dev, das steht fest!“
Devlin nickte. Er kannte keine Schuldgefühle. Er dachte weiterhin nach, und dann wurde ihm klar, was er tun musste.
Die junge Frau kam Eastleigh gewiss ungelegen, aber er konnte sich keinen Skandal leisten! Oh, wie sehr er es auskosten würde, dem fetten Earl ein weiteres Mal zu schaden! Er würde das Schiff aufbringen, die junge Amerikanerin gefangen nehmen und Eastleigh dann zwingen, Lösegeld für jemanden zu zahlen, den er eigentlich gar nicht wollte.
Devlin lächelte grimmig. Sein Herz klopfte vor Aufregung. Ein solcher Glücksfall war zu gut, um wahr zu sein – und zu gut, um missachtet zu werden.
3. KAPITEL
Mitte Mai 1812
Auf hoher See
G ott, sie wurden angegriffen!
Virginia kniete auf ihrer Koje, den Blick starr auf das einzige Bullauge der Kabine geheftet. Ängstlich suchte sie Halt an einem Riemen, während das Schiff unter den zahllosen Kanonenschüssen erzitterte. Sie war entsetzt.
Vor Stunden hatte alles begonnen. Virginia hatte erfahren, dass sie nur noch eine Tagesreise von der englischen Küste entfernt seien. Kurz darauf war ein Schiff am Horizont aufgetaucht, nicht größer als ein dunkler, Unheil kündender Punkt.
Dieser Punkt hatte immer schärfere Konturen angenommen. Das fremde Schiff fuhr hart am Wind, wogegen die „Americana“ nur langsame Fahrt machte, und wie es aussah, würden die beiden Schiffe sich alsbald begegnen.
Virginia hatte gerade die Sonne an Deck genossen, als sie spürte, dass die amerikanische Crew von einer großen Anspannung befallen wurde. Der Schiffskommandant, ein älterer Mann, der einst in der Kriegsmarine gedient hatte, stellte sein Fernglas auf das herannahende Schiff ein. Virginia begriff rasch, dass die Mannschaft sich Sorgen machte, um was für ein Schiff es sich handeln mochte.
„Hisst die blauweißen Signalflaggen“, befahl Kapitän Horatio knapp.
„Sir? Sie hissen unsere Fahne“, beobachtete der Erste Offizier.
„Umso besser“, erwiderte der Kapitän. „Also sind es welche von uns.“
Aber eben das stimmte nicht. Die Fregatte war nun kaum fünfzig Yards entfernt und setzte sich an die Leeseite der „Americana“, als die amerikanische Flagge eingeholt, aber durch keine andere ersetzt wurde. Da bedeutete man Virginia zum ersten Mal, sich unter Deck zu begeben. Die Mannschaft machte sich an den zehn Geschützen zu schaffen. Virginia war kaum bis zur Leiter gekommen, als eine Kanone abgefeuert wurde, ohrenbetäubend, doch harmlos, denn die Kugel fiel an Achtern ins Wasser.
„,Americana“‘, dröhnte eine Stimme herüber, „schließt eure Kanonenluken und bereitet euch darauf vor, geentert zu werden. Hier spricht der Captain der ,Defiance’!“
Virginia erstarrte und klammerte sich an den Lukendeckel, unter dem sich der Einstieg für das untere Deck befand. Ihr Blick fiel auf das andere Schiff, eine große, düster wirkende Fregatte mit vielen Masten, und sie gewahrte den Kapitän. Er stand auf einem höher gelegenen Deck an Achtern – eine hochgewachsene, kraftvolle Erscheinung in weißen Breeches, Schaftstiefeln und einem losen weißen Hemd. Das Sonnenlicht fing sich in seiner blonden Mähne und ließ das Haar golden schimmern. Sie starrte diesen Mann für einen Moment wie geblendet an und war nicht in der Lage, den Blick von ihm zu lösen. Und für einen kurzen Augenblick verspürte sie ein eigentümliches Gefühl.
Es war unbeschreiblich.
Als wäre nichts je wieder normal und richtig.
Die Zeit schien stehen geblieben zu sein. Sie starrte den Kapitän an, ein Geschöpf der hohen See, und als sie blinzelte, spürte sie nur noch ihr wild pochendes Herz, das von Schrecken und Angst erfüllt war.
„Noch nicht feuern“, rief Kapitän Horatio. „Nicht die Kanonenluken schließen!“
„Captain!“, rief der Erste Offizier in panischer Angst. „Das ist O’Neill, die Geißel der Meere. Gegen ihn können wir nicht kämpfen!“
„Einen Versuch ist es mir wert“, gab Horatio schroff und entschlossen zurück.
Virginia begriff, dass die Crew sich nicht ergeben würde. Sie brauchte eine Schusswaffe!
Während der Kapitän der „Defiance“ seine Forderung wiederholte, die Waffen zu strecken und seine Leute an Bord zu lassen, schaute Virginia sich verzweifelt nach einer Waffe um. Hastig bereitete sich die Mannschaft auf den Kampf vor. Und plötzlich veränderte sich die See. Ein ohrenbetäubendes Donnern aus
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