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Wild wie das Meer (German Edition)

Wild wie das Meer (German Edition)

Titel: Wild wie das Meer (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Brenda Joyce
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Ungeheuer, das für die unzähligen Toten verantwortlich war; auf seine Erscheinung war sie indes nicht vorbereitet. Er hatte das Antlitz eines griechischen Gottes, der soeben vom Olymp herabgestiegen war, mit seiner hohen Stirn, den markanten Konturen und den stechenden silbergrauen Augen. Aber dieses Gesicht – eigentlich das Antlitz eines Engels – glich einer steinharten Maske.
    Er war auch viel größer, als sie vermutet hatte – sie wusste, dass sie ihm nur bis zur Brust reichen würde –, hatte breite Schultern und schmale Hüften. Seine Beine, von den langen, kräftezehrenden Reisen auf unruhiger See kraftvoll geformt, steckten in blutigen Stiefeln. Blutspritzer befleckten auch sein weißes Leinenhemd. An der Seite trug er einen Degen, und ein Dolch steckte in seinem Gürtel, doch ansonsten sah sie keine Waffen.
    Virginia biss sich auf die Lippe, und als sie schließlich wieder zu atmen wagte, war das Luftholen wie ein lautes und zischendes Geräusch in dem kleinen Raum, den sie nun mit diesem Mann teilte. Sie brauchte nicht mehr über den Piraten zu wissen, um zu erkennen, dass er grausam und unbarmherzig war, unfähig, Gnade zu gewähren.
    Da unterbrach er die angespannte Stille. „Kommen Sie hierher.“
    Sie blieb zwischen den aufgestapelten Kisten stehen und war nicht in der Lage, sich zu bewegen.
    „Ich werde Ihnen nicht wehtun. Kommen Sie heraus.“
    Sein Tonfall war gebieterisch – sie spürte, dass niemand sich je seinem Befehl widersetzte. Nach wie vor starrte Virginia ihm in die kalten Augen. Sie vermochte den Blick nicht abzuwenden, als wäre sie hypnotisiert. Er sah verärgert aus. Das sah sie nun, denn er musterte sie von Kopf bis Fuß – ihren Mund, ihr Haar, ihre schmale Taille, die feuchten Rocksäume –, und seine Augen verdunkelten sich gefährlich. Sein Kiefer war verspannt, eine Ader an seiner Schläfe pulsierte. Es war offenkundig, dass ihr Anblick ihn nicht erfreute.
    Sie holte tief Luft, nahm all ihren Mut zusammen und hielt die Hand mit der Pistole hinter ihrem Rücken, in den Falten ihres marineblauen Rocks. Zaghaft befeuchtete sie die Lippen. „Was ... was wollen Sie von mir?“
    „Ich will, dass Sie hierherkommen, und ich gebe keinen Befehl zweimal. Doch dies ist schon die dritte Aufforderung.“ Wachsende Ungeduld bestimmte seinen Tonfall.
    Virginia begriff, dass sie keine Wahl hatte. Doch in ihrem kindischen Starrsinn erhoffte sie sich Gewissheit über ihr Schicksal, und das ausgerechnet von einem wenig Vertrauen erweckenden Mann. „Was werden Sie jetzt mit mir machen?“, fragte sie heiser.
    „Ich bringe Sie auf mein Schiff“, erwiderte er beiläufig.
    Er würde sie missbrauchen – ihr Gewalt antun. Virginia kämpfte gegen das Zittern an, aber es verstärkte sich noch. „Sie haben soeben ein unschuldiges Schiff angegriffen“, brachte sie hervor. „Aber ich bin eine junge, schutzlose Frau, und ich bitte Sie jetzt um Gnade.“
    Er verzog den Mund zu einem kalten Lächeln, das auf keine Gnade hoffen ließ. „Ihnen wird nichts geschehen“, sagte er.
    Sie zuckte zusammen. „Was?“
    „Sind Sie etwa enttäuscht?“, fragte er.
    Sie starrte ihn unverwandt an und fragte sich verblüfft, ob sie seinen Worten Glauben schenken durfte. Doch sie beschloss schnell, dass sie ihm nicht vertrauen sollte, denn er war ein Mörder, und das bedeutete, dass er auch ein Lügner sein musste. „Ich gehe nicht aus freien Stücken auf Ihr Schiff“, hörte sie ihre eigene Stimme.
    Seine Augen weiteten sich vor Erstaunen. „Wie war das?“
    Sie wollte zurückweichen, aber es gab keinen Ausweg. Die Lattenkisten drückten schon in ihren Rücken und gegen die Hand, die den Lauf der Pistole umschloss.
    Plötzlich lachte er. Das Lachen klang rau, als fiele es ihm schwer, überhaupt zu lachen. „Sie wagen es, mir nicht zu gehorchen? Dem Captain dieses Schiffes?“
    „Sie sind nicht der ...“, hob sie empört an, biss sich aber sofort auf die Lippe. Halt den Mund, schalt sie sich.
    Sein Lächeln war grimmig, seine Augen kälter als Eis. „Das sehe ich, mit Verlaub, anders. Ich bin der Captain der ,Americana’, denn ich habe sie erobert, und die Crew hat sich ergeben.“ Und dann kam er bedrohlich auf sie zu. „Und ich habe keine Geduld mehr. Wir haben einen guten Nordostwind“, fügte er hinzu, als erkläre das alles.
    Virginia blieb reglos stehen und plante, ihm mit der Pistole auf den Kopf zu schlagen, sobald der Mann sie erreichte. Aber er war so groß, dass sie wohl kaum zu einem

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