Wilde Chrysantheme
einen roten Heller in der Tasche und werden polizeilich gesucht wegen Mordes an Ihrem Ehemann. Hier sind Sie in London gestrandet, ohne Freunde oder sonstige Aussicht auf Unterstützung. Ich biete Ihnen sowohl Freundschaft als auch die notwendigen Mittel, um Ihr Glück zu versuchen.«
»Es liegt nicht in meinem Interesse, mein Glück als Hure zu versuchen, Madam.« Juliana erhob sich von ihrem Platz. »Wenn Sie mir bitte meine Kleider zurückgeben, werde ich von hier fortgehen, wie ich gekommen bin. Ich bin Ihnen für Ihre Gastfreundschaft sehr verbunden und werde selbstverständlich dafür bezahlen, indem ich in Ihrer Küche arbeite, wenn Sie es wünschen.«
»Machen Sie sich nicht lächerlich!« Mistress Dennison packte Julianas Hände und musterte die langen, schlanken Finger, die weiche, glatte Haut. »Sie haben noch keinen einzigen Tag in Ihrem Leben Hausarbeit verrichtet, darauf würde ich jede Wette eingehen.«
»Darum schadet es nicht, endlich damit anzufangen.« Juliana befreite ihre Hände mit einem ärgerlichen Ruck. »Ich bin keine Zimperliese, Mistress Dennison. Und ich hege keinerlei Absichten, meinen Lebensunterhalt im Bett zu verdienen. Wenn Sie mich jetzt also bitte entschuldigen würden…«
»Vielleicht kann ich Sie ja eher überzeugen?«
Juliana wirbelte erschrocken herum beim Klang der gedämpften, leicht schleppend klingenden Stimme. Ein Mann trat durch einen scharlachroten Samtvorhang am Ende des Raums, und sie erhaschte einen flüchtigen Blick auf eine kleine Kammer dahinter. Der hochgewachsene Fremde trug Reithosen und einen eleganten schwarzen Überzieher, dessen Ärmelaufschläge mit Silberspitze verziert waren. Ein einzelner Diamant glitzerte zwischen den Falten seines gestärkten weißen Halstuchs.
Er blieb stehen und nahm gelassen eine Prise Schnupftabak. Während der ganzen Zeit ruhten seine grauen Augen prüfend auf ihrem Gesicht, und Juliana überkam das unbehagliche Gefühl, daß er bis auf den Grund ihrer Seele schaute und sehr viel mehr sah, als sie jemals irgend jemandem von sich enthüllt hatte.
»Wer sind
Sie
denn?« verlangte sie mit heiserer Stimme zu wissen. Sie räusperte sich und wich ängstlich einen Schritt zurück in Richtung der großen Doppeltür in ihrem Rücken.
»Laufen Sie nicht weg«, bat der Neuankömmling freundlich. Er schob die silberne Schnupftabakdose wieder in seine Tasche zurück. »Es besteht wirklich kein Grund zur Beunruhigung, wie Mistress Dennison Ihnen bestätigen wird.«
»Nein, wirklich nicht, meine Liebe. Dies ist Seine Gnaden, der Herzog von Redmayne«, erklärte Elizabeth und legte eine beschwichtigende Hand auf Julianas Arm. »Er hat mit Ihnen eine besondere Angelegenheit zu besprechen.«
»Ich habe es Ihnen schon einmal gesagt, ich bin nicht im geringsten an solchen Machenschaften interessiert«, erwiderte Juliana mit zornbebender Stimme. Sie schüttelte energisch Mistress Dennisons Hand von ihrem Arm. »Und es kümmert mich auch ebensowenig, ob sie von einem Herzog oder von einer Person stammen, die Dirnen für sich arbeiten läßt.« Sie machte auf dem Absatz kehrt und marschierte zur Tür, ohne auf den verdutzten Ausdruck in den stahlgrauen Augen Seiner Gnaden zu achten.
Verärgerung vertrieb das Erstaunen von der kühlen grauen Oberfläche, um gleich darauf von Interesse und einer widerwilligen Bewunderung verdrängt zu werden. Der Herzog, an kriecherische Unterwürfigkeit gewöhnt, war von sich selbst überrascht, daß er es sogar amüsant fand, wie sich dieses junge Ding so ungeniert über seinen gesellschaftlichen Rang hinwegsetzte. Seine Belustigung schwang jedoch nicht in seiner Stimme mit.
»Die Strafe für Gattenmord ist Tod auf dem Scheiterhaufen, soweit ich informiert bin.«
Juliana blieb wie angewurzelt stehen, als sie die leise, nachdenkliche Stimme hinter sich hörte. Ihre Hand auf dem Türknauf war plötzlich feucht vor Schweiß, und das Blut pochte in ihren Schläfen. Langsam wandte sie sich wieder um, und ihre weitaufgerissenen grünen Augen, die wie glühende Kohlen in ihrem plötzlich wachsbleichen Gesicht brannten, hefteten sich anklagend auf Mistress Dennison. »Sie haben mein Vertrauen mißbraucht.«
»Meine Liebe, es ist doch nur zu Ihrem Besten«, beteuerte Elizabeth. «Sie werden sehen, was für eine wundervolle und einmalige Chance dies ist, wenn Sie nur auf Seine Gnaden hören. Ich kenne Hunderte von Mädchen, die für eine solche Möglichkeit ihr Augenlicht geben würden. Ein Leben in Luxus,
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