Wilde Chrysantheme
ausgezehrter Körper wurde von Krämpfen geschüttelt, während sich seine Brust hastig hob und senkte bei dem Ringen nach Luft.
»Nun, nun, Mylord. Immer mit der Ruhe.« Henny nahm ihm das Cognacglas aus der Hand und wartete gelassen, bis die Krämpfe nachließen und er wieder zu Atem kam. »Hier, trinken Sie noch einen Schluck. Natürlich tut Ihnen der Cognac gut!« Sie reichte ihm erneut das Glas mit der Miene eines Menschen, der das Heilmittel kannte. Als altes Familienfaktotum wußte sie vermutlich Bescheid über die dunklen Punkte in der Familiengeschichte der Edgecombes.
Lucien stürzte den Inhalt des Glases in einem Zug hinunter und seufzte dann vor Erleichterung. »Verzeihen Sie mir, meine Liebe. Eine unerfreuliche Angewohnheit bei einem Bräutigam.« Er grinste, und Juliana fiel zum ersten Mal auf, daß ihm vier seiner Schneidezähne fehlten. Es war schwierig, sein Alter genau zu bestimmen, aber selbst bei großzügigster Schätzung war er bei weitem zu jung, um Zähne durch Verfall einzubüßen.
»Also, was war es doch, was Sie vorhin gesagt haben, was mich so zum Lachen gebracht hat… ? Ach ja… Tarquin würde es ganz und gar nicht gefallen, wenn ich mich zu Ihrem Führer durch das Londoner Nachtleben aufschwinge«, höhnte er.
Juliana nickte versonnen. Es war nicht weiter schwer, sich vorzustellen, wie der Herzog von Redmayne in einem solchen Fall vor Zorn mit den Zähnen knirschen würde. Nein, es war wirklich nicht schwer… tatsächlich war es sogar definitiv erfreulich, sich seine Reaktion auszumalen… was für höchst reizvolle Aussichten…
»Guten Morgen, Lady Edgecombe… ah, Lucien, du stattest deiner Braut einen Morgenbesuch ab, wie ich sehe.« Der Herzog von Redmayne materialisierte sich plötzlich leibhaftig. Erschrocken wandte sich Juliana zur Tür um. Tarquin, in einen Hausmantel aus Brokat gekleidet, lehnte im Türrahmen, doch das harte Licht in seinen Augen strafte seine nachsichtige Miene Lügen.
Aus irgendeinem unerfindlichen Grund scheint es niemand in diesem Haushalt für nötig zu halten, anzuklopfen, bevor er mein Zimmer betritt, dachte Juliana. »Guten Morgen, Euer Gnaden.« Sie trank erneut einen Schluck von ihrer Schokolade und gab sich den Anschein von Routine in der Unterhaltung von Gentlemen, während sie in ihrem Nachthemd im Bett saß. Natürlich war es ein durchaus passender Treffpunkt sowohl für Ehemänner als auch für Liebhaber – und sie hatte von jeder Sorte einen. Der Gedanke ließ übermütiges Gelächter in ihr aufsteigen, und sie musste sich auf die Lippen beißen, um nicht laut loszuprusten. Hastig stellte sie ihre Tasse ab und schob das Tablett so weit wie möglich von sich.
»Du scheinst dich ja mächtig ungezwungen im Schlafzimmer meiner Frau zu fühlen, Tarquin«, bemerkte Lucien anzüglich. »Sollte ich vielleicht den empörten Gatten spielen?«
»Sei kein Narr!« Tarquin sah lediglich gelangweilt aus über diese Spitze seines Cousins, als er in den Raum schlenderte. »Ich vermute, du hast dir bis jetzt noch gar keine Nachtruhe gegönnt, wie?«
»Deine Vermutung ist richtig, mein Bester.« Lucien hielt sein leeres Glas ans Licht. »Na so was! Schon wieder leer. Ich schwöre, das Glas muß ein Leck haben. Bewahrst du noch die Karaffe in deinem Refugium auf, Redmayne?«
»Geh in deine eigenen Räumlichkeiten, Lucien«, wies Tarquin seinen Cousin im selben gelangweilten Tonfall an. »Dein Butler wartet auf dich, und ich bin sicher, du wirst dort alles Nötige zu deiner Bequemlichkeit finden.«
Lucien gähnte ausgiebig und erhob sich vom Bett. »Na ja, vielleicht hast du recht. Ich bin untröstlich, daß ich unsere bezaubernde kleine Plauderei jetzt beenden muß, meine liebe Braut.«
»Ich betrachte unsere Unterhaltung lediglich als aufgeschoben, Sir.«
Tarquins Ausdruck träger Langeweile verschwand schlagartig. »Wie bitte?«
Julianas Lächeln war betont unschuldig. »Ich habe nur gesagt, daß ich mich darauf freue, die Diskussion mit meinem Ehemann fortzusetzen, Sir. Stimmt irgend etwas nicht?«
Tarquin sah so verblüfft aus, daß sie Mühe hatte, eine unbewegte Miene beizubehalten.
»Du kannst meine Gemahlin nicht daran hindern, sich ihrem rechtmäßigen Ehemann zu widmen, weißt du, Tarquin«, stellte Lucien fest, als er mit seiner Schnupftabakdose herumfummelte. Er hatte zwar keine Ahnung, warum Juliana erpicht darauf sein sollte, den Herzog in Rage zu bringen, aber er war mehr als bereit, bei dem Schabernack mitzumachen.
Tarquin
Weitere Kostenlose Bücher