Wilde Flucht
Gesicht.
» Jim Finotta ist ein Arschloch. Das weiß jeder.«
Joe nickte.
» Aber wir werden diese Anzeige gegen ihn wegen Wilderei nicht weiterverfolgen.«
Joe wartete auf die Pointe, doch es gab keine. Er spürte sich langsam zornig werden, blieb aber beherrscht.
» Ja?«
Hersig nahm die Füße mit Schwung vom Tisch und beugte sich vor. » Ich bin bei Matt Sandvick gewesen, um seine eidesstattliche Erklärung vorzubereiten. Er bestreitet, je ein Tier für Finotta präpariert zu haben, und will nicht einmal mit Ihnen über ihn gesprochen haben. Er hat auch das Foto nicht mehr, von dem Sie mir erzählten, und seine Unterlagen vom Juni sind plötzlich unauffindbar.«
» Das kann ich nicht glauben«, sagte Joe fassungslos.
» Sie hätten das Foto einstecken sollen.«
Joe sah weg. Natürlich hätte er das tun sollen! Doch er hatte Sandvick beim Wort genommen.
» Haben Sie Finotta erzählt, dass Sandvick ihn verpfeifen wird?«, fragte Hersig mit hochgezogener Braue.
Joe dachte kurz nach. » Ja. Das hab ich ihm tatsächlich gesagt, als ich ihn neulich gesehen habe.«
Hersig hob die Hände zu einer Geste, die nur eins bedeuten konnte: selber schuld!
» Ich habe Matt vertraut«, sagte Joe.
» Warum hätten Sie das auch nicht tun sollen?«, meinte Hersig sarkastisch.
» Finotta hat ihn unter Druck gesetzt, oder?«
Hersig wirkte nachdenklich. » Wahrscheinlich. Aber das dürften wir ihm kaum nachweisen können, solange Sandvick es sich nicht noch mal anders überlegt. Und glauben Sie mir: Sollte er seine Meinung ändern, wird Finotta ihn vor Gericht fertigmachen und darauf herumreiten, dass Sandvick seine Geschichte dreimal geändert hat. So was ist nicht gerade glaubwürdig.«
Joe schüttelte den Kopf. » Mit was für einem Kerl haben wir es eigentlich zu tun? Ich spreche von Finotta. Würde er einen Zeugen wegen einer Wildereisache einschüchtern?« Joe wusste, dass Finotta im Falle einer Verurteilung allenfalls seine Jagdprivilegien verlieren würde und zehntausend Dollar Strafe zahlen müsste. Das konnte Finotta locker aufbringen. Im Vergleich zu anderen Verbrechen wurde Wilderei beschämend milde bestraft, wie Joe fand.
Hersig lächelte bekümmert. » Sie wissen doch, dass er jedes Jahr bedeutende Jagdgäste beherbergt. Der Gouverneur kommt zu ihm und beide Senatoren. Und Anwälte und Richter von überallher. Es wäre ein enormer Ansehensverlust, wenn sich herumspräche, dass er wegen Wilderei verurteilt wurde. Das ist ein Delikt für arme Schlucker, nicht für einen großen Anwalt und Bauunternehmer. Die Medien würden den Fall aufgreifen, und das würde Finotta vor all seinen wichtigen Freunden bloßstellen. Sie können also wetten, dass er sich zur Wehr setzt. Er ist der Typ, der hinter den Kulissen arbeitet und eine Gegenleistung für all die Gefälligkeiten, die er im Laufe der Zeit manchem erwiesen hat, verlangen wird, um zu bekommen, was er will. Finotta wird nicht akzeptieren, auch nur ein einziges Mal die schlechteren Karten zu haben.
Sehen Sie, Joe«, fuhr Hersig fort, » Finotta hat sehr viel Geld damit gemacht, Dinge außergerichtlich zu regeln. Er ist gnadenlos darin, Beziehungen für sich arbeiten zu lassen und Druck auf andere auszuüben. Er wurde sogar mal verwarnt, weil er Menschen einschüchterte, die gegen ihn aussagen wollten, doch es ist nie Anklage gegen ihn erhoben worden, und es wurden auch nie Sanktionen gegen ihn verhängt.«
Joe seufzte. Dann fiel ihm etwas ein.
» Ich habe noch immer die DNA-Probe des toten Wapitis«, sagte er eifrig. » Wir brauchen Sandvick nicht, wenn wir den Kopf des Hirschbullen kriegen und eine Übereinstimmung nachweisen können.«
Hersig schüttelte den Kopf. » Daran habe ich auch schon gedacht. Ich habe es Richter Pennock vorgeschlagen, doch der will uns keinen Durchsuchungsbeschluss ausstellen. Er hat gesagt, Sie haben Mr. Finotta schon genug belästigt.«
» Das hat er gesagt?«
» Wortwörtlich.«
Joe schlug mit der Faust auf den Tisch. » Finotta ist Pennocks Kumpel, und Pennock ist finanziell an den Elkhorn Ranches beteiligt.« Finotta, dachte er dabei, spielt in einer anderen Liga als ich oder Robey Hersig.
Hersig hob die Hand, um Joe zu warnen. » Sie sollten in diesem Büro keine abfälligen Bemerkungen über den Richter machen.«
» Sollte Richter Pennock den Fall nicht einem Kollegen übergeben? Liegt hier etwa kein Interessenskonflikt vor?«
» Soll er sich also für befangen erklären?«, fragte Hersig und zog die Brauen hoch.
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