Wilde Flucht
dazu, dass die Mitgliedsbeiträge nicht steigen.«
» Aber du hast Eine Welt gegründet!«, rief Britney. » Die können dich doch nicht aus deiner eigenen Organisation werfen.«
» O doch«, erwiderte Stewie. » Und genau das haben sie getan. Die Anzugträger haben dort inzwischen das Sagen. Die Spendeneinwerber haben die Abenteurer vertrieben.«
» Eine Schande ist das!«
» Das Ironische ist also«, fuhr Stewie fort und wandte sich an Joe, » dass Charlie Tibbs einer vergangenen Größe nachjagt.«
» Du bist doch keine vergangene Größe«, gurrte Britney.
Doch Joe konzentrierte sich zu sehr auf die Szene vor ihm, als dass er Stewie hätte antworten können.
Auf einer kleinen Lichtung neben dem Wildwechsel stand eine Wapitikuh im gelben Strahl der Morgensonne breitbeinig über etwas, das einem nassen Fellbündel glich, sah den dreien mit großen, schwarzen Augen entgegen und wandte ihnen nun auch die großen, lauschend aufgestellten Ohren zu. Ihre Läufe und ihre feuchte schwarze Schnauze zitterten.
Joe blieb stehen. Stewie und Britney erstarrten hinter ihm.
» Mein Gott«, flüsterte Stewie.
Das nasse Fellbündel war ihr totes Kalb. Joe sah, dass die Kehle aufgeschlitzt und der Unterkiefer verschwunden war. Es lag tot in einer Pfütze dunklen Blutes. Neben dem Kalb klebten lange Wolfshaare büschelweise am hohen Gras.
Auch die Hirschkuh würde bald sterben. Bei der Abwehr der Wölfe, die ihr Kalb getötet hatten, war ihr der Bauch aufgeschlitzt worden. Gedärmschleifen hingen ihr wie lange blaue Seile aus dem Unterleib. Eins ihrer Vorderbeine war bis auf den Knochen enthäutet. Dunkles Blut war im dicken Fell ihrer Schulter geronnen.
Wiederholt hatte Joe Wapitikühe kämpfen sehen; sie schwangen sich auf die Hinterläufe, stürzten vor und attackierten mit den Hufen. Die Gewalt dieser Tritte konnte Dachsen den Schädel und Kojoten das Rückgrat brechen. Die Kuh hatte mindestens einen Wolf des Rudels getroffen – daher die Haarbüschel im Gras.
Britney sank zu Boden und schlug die Hände vors Gesicht.
» Ihr müsst was tun«, heulte sie. » Das ist furchtbar.«
Joe musterte die Bäume rings um die Lichtung. Er war sich gewiss, dass die Wölfe in der Nähe waren, doch er konnte sie nicht entdecken. Sie waren im Dunkel des Waldes verborgen oder kauerten reglos im Unterholz. Er spürte ihren Blick.
» Tut was«, flehte Britney gequält.
» Erschießen Sie das arme Tier, damit es nicht länger leiden muss«, murmelte Stewie.
» Nein.« Joe seufzte. » Ein Schuss verrät, wo wir sind.«
» Na und?«, kreischte Britney. » Na und? Tut was!«
Joe drehte sich zu ihr um. Seine Miene war maskenhaft starr, sein zorniger Blick so durchdringend, dass sie unwillkürlich schutzsuchend hinter Stewie trat.
» Schauen Sie weg«, zischte Joe in kalter Wut, schritt auf die Hirschkuh zu, zog sein Taschenmesser und klappte es auf. Die Kuh wandte den Kopf ab, hatte aber nicht die Kraft zu fliehen oder ihn anzugreifen, und er nahm sie beim Ohr, damit sie nicht auswich, während er ihr die Kehle durchschnitt.
Stewie stand mit aschfahlem Gesicht da und sah zu, während Britney ihren Kopf an seinem Rücken vergrub. Als Joe zurückkam, hörte er die Kuh hinter sich röcheln und sich auf ihr totes Kalb ins Gras legen.
» Das tun Wölfe nun mal«, sagte Joe, und seine ruhige Stimme täuschte darüber hinweg, was er empfand. » Ich sage nicht, sie sollten nicht hier sein, aber so etwas tun sie nun mal. Sie sind Wölfe. Ich weiß, es klingt nett, sie als magisch und wundervoll zu bezeichnen und zu sagen, dass sie die Natur und das Ökosystem im Gleichgewicht halten, und es stimmt ja auch – das tun sie. Aber sie tun es genau so. Sie schnappen sich zuerst die Schwächsten. Und wenn die Mutter zurückbleibt, schlagen die Wölfe ihr ein Loch in den Bauch und ziehen das Gedärm heraus. Dann warten sie, bis sie nicht mehr die Kraft hat, sich zu verteidigen, und dann reißen sie ihr die Kehle raus.«
Joe schob das klebrige Taschenmesser ins Etui zurück und rieb sich warmes Blut von Hand und Ärmel auf die Hose.
» Ihr haltet euch nicht an die Realität, sondern begeistert euch für gewisse Vorstellungen – zum Beispiel für die Idee, die Wölfe zurückzubringen. Dann fühlt ihr euch besser.« Er sah erst Britney, dann Stewie an, doch beide wichen seinem Blick aus. » Auch ich bin der Meinung, dass es sich dabei vor allem um eine gute Sache handelt. Aber ihr wollt nicht sehen, was sich hier draußen wirklich abspielt, wenn
Weitere Kostenlose Bücher