Wilde Magie - Wilde Magie - Fever / Wild Rain
einem Baum zum anderen zu gelangen. Schließlich sprang er auf den Waldboden, landete auf allen vieren und blieb absolut reglos hocken, verschmolz mit den dunklen Schatten des Waldes.
Stumm hielt er die Nase in den Wind. Blut hatte einen ganz besonderen Geruch, der deutlich wahrnehmbar war. Regentropfen durchdrangen das Blätterdach und platschten auf die faulende Vegetation. Eine leuchtend grüne Eidechse,
die einen Baumstamm hochrannte, lenkte seine Blicke auf sich, genau wie ein roter Fleck, der einen filigranen Farn entstellte, der aus der Baumrinde wuchs. Rio blieb ganz still hocken, nur seine Augen schweiften rastlos umher und suchten nach irgendeiner Bewegung, irgendeinem Hinweis auf den Eindringling.
Einige kurze bellende Laute verrieten, dass eine Herde erwachsener Muntjaks in der Nähe war. Etwas musste sie so verstört haben, dass sie Alarm gaben. Rio sprang auf einen tief hängenden Ast und gab das heisere Hüsteln seiner Art von sich, um Franz zu warnen. Der Feind war verwundet und auf der Flucht. An der Stelle, wo der Heckenschütze sich über die Böschung gewälzt hatte, fand er auf dem dick mit Nadeln und Blättern gepolsterten Boden noch mehr Blutflecken, die jedoch nicht von dem Blut einer Hauptschlagader stammten.
Noch einmal musterte Rio eingehend alle Äste im Umkreis. Dann bückte er sich seufzend und hob einen Stiefel auf. Der Mann hatte sich gerade so viel Zeit gelassen, die Blutung zu stillen, das Gewehr und die Kleider abzulegen und in die Bäume zu klettern, um in der Leopardengestalt zu entwischen. Über die Äste kam man viel schneller und leichter voran, als wenn man verwundet und mit Kleidern, Waffen und Munition beladen über den Waldboden rannte. Bei Nacht einen verwundeten Leoparden zu verfolgen war reiner Wahnsinn. Insbesondere, wenn es sich um einen Artgenossen handelte, der zusätzlich zu List und angeborener Intelligenz auch noch ganz speziell ausgebildet war.
Rio sah sich gut um, denn er wusste, dass Leoparden meist zurückkehren, um ihrer Beute nachzustellen. Einmal fand er etwas Blut an einem Zweig und ein anderes
Mal ein abgerissenes Blatt, das waren die einzigen Hinweise darauf, dass eine Großkatze vorbeigekommen war. Franz schloss sich ihm an, nahm zähnefletschend die Witterung auf und wollte dem Angreifer hinterher. Doch Rio war wesentlich vorsichtiger. Immerhin jagten sie einen Profi, einen Gestaltwandler. Genau wie Rio hatte er sicher mehrere Fluchtrouten ausgearbeitet und dort Waffen und Kleidung hinterlegt. Und wahrscheinlich hatte er für den Fall, dass er verfolgt wurde, auch im Voraus Fallen ausgelegt.
Rio vergewisserte sich, dass der Heckenschütze nicht zurückgekommen war, wollte Rachael aber nicht zu lang allein lassen, weil er noch nicht wusste, wie sehr ihr Bein gelitten hatte. Besänftigend legte er Franz die Hand auf den Kopf. »Ich weiß. Das ist schon der zweite Anschlag auf uns. Wir werden ihn später jagen. Zuerst müssen wir unsere Verwundeten in Sicherheit bringen, Junge.« Er kraulte den Nebelparder hinter den abstehenden Ohren und machte entschlossen kehrt, um die Waffen und Kleider aufzusammeln, die der Heckenschütze zurückgelassen hatte. Er bezweifelte, dass sie auf die Identität des Mannes schließen lassen würden, dennoch mochten sie ihm einiges verraten.
Mit Franz an der Seite machte er sich auf den Heimweg, nahm sich aber genügend Zeit, um den Boden und die Bäume in seinem Reich gründlich zu untersuchen. Er fand die getarnte Stelle, an der der Heckenschütze auf der Lauer gelegen hatte, um Rio bei Gelegenheit, wie etwa beim Anzünden einer Kerze, erwischen zu können. Die Schattenbewegungen hinter dem dünnen Webvorhang reichten aus, um einem Scharfschützen erfolgreich als Ziel zu dienen. Einige Schritte vor der Veranda blieb Rio stehen, holte
tief Luft und erlaubte es sich, darüber nachzudenken, dass Rachael beinahe getötet worden wäre.
Ihm wurde schlecht bei dem Gedanken, ihm drehte sich der Magen um. Schweiß, der nichts mit der Hitze zu tun hatte, brach ihm aus allen Poren. Am Waldgrund gab es fast nie Wind. Dort war es immer unheimlich still, denn das dichte Kronendach schirmte alles ab; oben in den Bäumen jedoch ließ der Wind die Blätter wispern, rascheln und tanzen. Das Geräusch beruhigte ihn, es war im Einklang mit der Natur.
Die Gesetze des Dschungels verstand er. Selbst dass in seiner Welt Gewalt nötig war, sah er ein. Doch was Rachael getan haben mochte, um den Tod zu verdienen, konnte er sich einfach nicht
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