Wilde Magie - Wilde Magie - Fever / Wild Rain
ihrem Leben hatte es Gewalt gegeben. Er wusste die Zeichen zu deuten. Er konnte nur hoffen, dass er sie nicht verlor, wenn er tat, was er tun musste.
Rio tauchte unter und schwamm durch den engen Kanal, den er so mühevoll ausgehoben und mit der Röhre bestückt hatte. Er hatte einige Jahre gebraucht, um die Kammer auszustatten und den Eingang zu sichern. Am Fluss und im Wald gab es mehrere Verstecke, die er bei Bedarf nutzen konnte. Sein Volk war vom Charakter her verschwiegen und vorsichtig, und so hatte er im Laufe der Jahre gründliche Vorbereitungen schätzen gelernt.
Sobald er unter dem kleinen Wasserfall aus der Röhre kam, schwamm er unter Wasser in die Mitte des Flusses und ließ sich weiter stromab tragen. Nachdem er so viele Vorsichtsmaßnahmen getroffen hatte, um Rachael in Sicherheit zu bringen, wollte er auf keinen Fall Spuren oder Gerüche für den Killer hinterlassen. Er war ein Risiko eingegangen, als er Rachael verletzt in der Kammer zurückließ. Sie hatte Waffen und Licht und Nahrung für mehrere Tage, dennoch konnte sie unter der Erde leicht in Panik geraten. Ihre Spezies lebte normalerweise auf Bäumen und gab hohen Ästen den Vorzug vor dem Waldboden.
Rio lag zur Sicherung seiner Männer oft stundenlang völlig reglos auf der Lauer. Die anderen drangen in das Camp ein, um die Geiseln zu befreien. Er aber blieb draußen an einem geeigneten Aussichtspunkt und bildete, als praktisch unübertrefflicher Scharfschütze die letzte Verteidigungslinie seines Teams. Er war es gewöhnt, allein zu sein, im Leben und im Job, doch anders als bei den echten Leoparden waren Lebewesen seiner Art nicht fürs Alleinsein geschaffen. Sie verbanden sich fürs ganze Leben und darüber hinaus. Rachael würde es sicher schwerfallen, allein auszuhalten.
Eine Meile unterhalb des Wasserfalls stieg Rio aus dem Fluss und nahm seine Leopardengestalt an, froh, die Kraft und Stärke zu spüren. Er hielt die Nase in den Wind und witterte. Und wurde augenblicklich mit Informationen förmlich überschwemmt. Rio streckte sich träge, ehe er leichtfüßig über einen umgestürzten Baum sprang. Im Wald dämmerte der Morgen.
Der dicke, wabernde Nebel, der die Sicht verschleierte, hob sich und verdunstete langsam, als die Wärme der Sonne durch die Wolken drang. Vögel stimmten einen Chor
an, in dem einer den anderen zu übertönen suchte, und eine seltsame Musik schallte durch die Bäume. Ob mit melodiösem oder krächzendem, ja schrägem Gesang, alle riefen einander zu, während sie von Ast zu Ast hüpften. Und als sie die Flügel spreizten und davonflogen, verkündete eine farbenfrohe Wolke, dass im Wald der Morgen angebrochen war. Gibbons schlossen sich an und markierten mit gurgelndem Geschrei und Gebrüll ihr Territorium.
Ohne auf das geräuschvolle Flattern und Rauschen der größeren Schwingen zu achten, sprang der Leopard in die unteren Äste eines nahe stehenden Baumes, um über den Hochweg weiterzulaufen. Der Dschungel war zum Leben erwacht und Rio nutzte das laute Geschnatter, um durch die Bäume nach Hause zu eilen, wo er hoffentlich die Fährte des Jägers aufnehmen konnte. Während er flussaufwärts rannte, horchte er unablässig auf Warnschreie oder plötzlich eintretendes Schweigen, alles Hinweise, dass ein Eindringling durch das Reich der Schweinsaffen streifte. Diese schüchternen und scheuen Tiere liefen oft über den Waldboden und flüchteten, wenn sie aufgestört wurden, ein weiteres Anzeichen von Gefahr.
Es waren die Muntjaks, die ihn zuerst alarmierten. Mit ihrem abgehackten, heiseren Gebell warnten sie die Mitglieder ihrer Herde, denn zwischen den Bäumen mit ihrem dichten Laub und ihren dicken Stämmen half es nichts, als Signal mit dem Schwanz zu wackeln. Rio fauchte, duckte sich auf einen Ast und verharrte völlig reglos, wie es seine Art war. Soeben war der Jäger zum Gejagten geworden.
Da Rio sich nicht sehr hoch oben im Kronendach befand, blieben die Blätter des Baumes, auf dem er kauerte, still und unbewegt vom Wind. Vereinzelte Sonnenstrahlen
fielen durch das Laub über ihm und sprenkelten die Blätter und den Waldboden. Das machte ihn noch schwerer zu entdecken, eine natürliche Tarnung. Insekten umschwirrten ihn, und eine Schönechse wechselte die Farbe von leuchtend grün zu dunkelbraun, während sie sich auf einem Ast niederließ, der kaum mehr als einen Meter von ihm entfernt war.
Ein Bartschwein grunzte und brach, von irgendetwas aufgeschreckt, durch das Buschwerk unter dem Baum.
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