Wilde Rose der Prärie
„Bringen Sie mir Wasser!" Einen Moment lang zögerte Lorelei, dann rannte sie nach draußen, um die bereits zur Hälfte mit Regenwasser gefüllte Kaffeekanne zu holen. Sie gab die Kanne an Angelina weiter, die den Inhalt sofort ins Feuer kippte. Ein leises Zischen war zu hören, dann richtete Angelina sich auf und schloss die quietschende kleine Tür, damit der Rauch nicht weiter ins Zimmer zog.
„Ab sofort", erklärte Angelina ruhig, „kümmere ich mich um den Kaffee." Lorelei griff nach einer Decke und wollte den Rauch aus dem Haus fächeln, doch an der Tür wurde er von dem dichten Schleier aus Regentropfen am Abziehen gehindert.
Ein Donner ließ das Dach erzittern.
„Ein böses Omen", flüsterte Angelina erschrocken und bekreuzigte sich hastig.
„Unsinn." Lorelei nahm ihr den Besen aus der Hand. „Wenn wir hier erst einmal für Ordnung gesorgt haben, wird das ein gemütliches Haus sein."
Raul kam herein, gefolgt von dem Kutscher. Beide Männer waren bis auf die Haut durchnässt, doch das galt genauso für Lorelei und Angelina.
„Ich rieche Rauch", stellte der Kutscher fest.
Jeder von ihnen ließ sich auf eine Kiste nieder, dann sahen sie sich schweigend an. „Ich glaube, ich werde auf einem der Pferde zurück in die Stadt reiten", überlegte der Kutscher. „Es sind noch genug Pferde da, wenn Sie alle mitkommen wollen." Raul warf einen sehnsüchtigen Blick zur Tür. „Ich bleibe hier", stellte Lorelei klar.
„Das ist Ihr gutes Recht, Ma'am", erwiderte der Mann und stand auf. Raul schaute stur auf seine Hände, während Angelina ihre Röcke ausschüttelte.
Der Kutscher verließ das Haus, und Lorelei sah ihm nach, wie er auf eins der vier Pferde stieg und den Wagen zurückließ. Die drei anderen Tiere trotteten ihm hinterher, ohne dass er sie mit einem Seil festmachen musste.
„Es wäre klüger von ihm gewesen, die Nacht hier zu verbringen", stellte Lorelei fest.
„Er könnte unterwegs vom Blitz getroffen werden, und er muss ja sowieso noch mal herkommen, um den Wagen abzuholen."
Weder Angelina noch Raul sprachen ein Wort, und beide wichen sie Loreleis Blick aus.
Dann war es wohl an ihr, für eine angenehme Stimmung zu sorgen. „Raul", sagte sie und bückte sich, um die Kaffeekanne aufzuheben, die Angelina hatte fallen lassen, nachdem es ihr gelungen war, die Flammen zu löschen. „Vielleicht könnten Sie versuchen, ein Lagerfeuer in diesem Dickicht aus Eichen gleich neben dem Fluss anzuzünden. Wir brauchen ein Feuer, damit wir kochen können." Raul sah sie an, als sei sie soeben von den Toten auferstanden. „Ein Lagerfeuer?", wiederholte er.
Angelina seufzte. „Tu einfach, was sie sagt", gab sie gedankenverloren zurück. Raul verließ das Haus.
„Wir sollten uns besser etwas Trockenes anziehen", überlegte Lorelei. „Auch wenn es warm ist, könnten wir uns erkälten. Ich werde einen Tee für uns aufsetzen."
„Und wie wollen Sie das anstellen?", fragte Angelina ruhig.
„Wieso? Ich fange Regenwasser in der Kanne auf, oder ich gehe zum Fluss, und dann kommt der Topf aufs Feuer."
„Wie kommen Sie denn zu diesem Feuer und zurück, ohne wieder von Kopf bis Fuß durchnässt zu werden?"
„Oh", sagte Lorelei.
„Genau", gab Angelina zurück. „Oh!"
Raul blieb gut eine Viertelstunde lang weg, und als er zurückkehrte, war er völlig niedergeschlagen. „Es gibt nirgends trockenes Brennholz", ließ er sie wissen. Lorelei und Angelina, die sich inzwischen umgezogen hatten, saßen auf den Kisten und versuchten, sich die Haare zu trocknen.
„Dann werden wir ohne Tee auskommen müssen", erklärte Lorelei tapfer. Im schwachen Licht der Morgendämmerung lag Lorelei da und betrachtete die Spinnweben, die wie gefangene Geister an den Deckenbalken hingen. Sie hatte in ihren Kleidern geschlafen, mehrere übereinander gelegte Decken waren ihr Bett gewesen. Ihre Haut war von Sandflohbissen übersät. Am anderen Ende des Hauses, das, wie sie sich selbst gegenüber eingestand, eigentlich nichts weiter als eine Hütte war, schliefen Angelina und Raul immer noch. Beide schnarchten leise. Nach dem Regen der vergangenen Nacht tropfte es noch immer durchs Dach, und der Kamin war nach wie vor durch ein altes Vogelnest, Schmutz und viele Schichten Ruß verstopft. Außerdem hätte Lorelei auf der Stelle ihre Seele verkauft, wenn man ihr dafür eine Tasse frisch aufgebrühten Kaffee gegeben hätte. Inzwischen wusste ihr Vater nicht nur, dass sie von zu Hause weggelaufen war und ihr Eigentum sowie die
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