Wilde Rose der Prärie
nach einem lästigen Insekt. „Lorelei und ich werden Kaffee aufsetzen", meldete sich Melina zu Wort, kam zu Lorelei gelaufen, nahm sie an der Hand und zerrte sie hinter sich her zum Haus. „Und zwar sofort."
„Warum muss er immer im unpassendsten Moment auftauchen?", zischte Lorelei, kaum dass sie im Haus waren. Sie verschwand hinter einem Laken, das über einen der Deckenbalken gelegt worden war, und zog ihre nasse Kleidung aus. „Ich würde sagen, es war im passendsten Moment überhaupt", widersprach Melina, die am Ofen beschäftigt war. „Wären die beiden nicht hergekommen, dann wärst du vermutlich ertrunken!"
Der Gedanke an einen vorzeitigen Tod sorgte dafür, dass sie einen Kloß im Hals verspürte, der ihr keinen Ton mehr über die Lippen kommen ließ. Würde irgendwer um sie trauern? Sicher nicht ihr Vater. Und auch nicht Creighton Bannings. Mit einem Mal wurde ihr kalt, wie sie so in ihren nassen Kleidern dastand, und sie begann zu zittern. Ihre Zähne klapperten so heftig, dass sie fürchtete, an Krämpfen zu leiden. Als Nächstes würde sie sich womöglich noch die Zunge abbeißen. Raul und Angelina hätten bei ihrer Beerdigung geweint, hielt sie sich zum Trost vor Augen, als sie aus einer der Kisten trockene Kleidung nahm.
Raul und Angelina.
Wie konnte sie nur die beiden vergessen?
Auf ihre Sittsamkeit bedacht, spähte sie um das Laken herum und sah, dass Holt und Rafe vor der Tür standen. Beide gestikulierten sie und schienen sich in gedämpftem Tonfall zu streiten.
„Wie geht es Raul?", rief sie, als sie sich in ihr Ersatzkleid zwängte.
Holt und Rafe drehten sich gleichzeitig um, als würde es die beiden überraschen, sie dort vorzufinden, wo sie stand. Holts Miene verfinsterte sich.
„Schön, dass Sie fragen", meinte er. „Ich hatte mich schon gewundert, wann es Ihnen wohl einfallen würde."
Sichtlich verärgert schüttelte Rafe den Kopf. „Bevor wir die Stadt verließen, haben wir noch einmal bei Doc Brown reingeschaut", antwortete er freundlich. „Raul wird noch eine Weile liegen müssen. Angelina will sich um den Haushalt des Docs kümmern, als Gegenleistung für Unterkunft und Verpflegung. Sie sagt, für Sie gäbe es dort auch ein Zimmer."
Lorelei legte eine Hand an ihre Kehle und dankte Gott und all seinen Engeln, dass Raul durch ihren verfluchten Maulesel nicht zum Krüppel geworden war. Sie sah, wie Holt zur Tür kam und sich gegen den Rahmen lehnte. Seine nasse Kleidung klebte ihm am Körper und weckte Regungen in Lorelei, mit denen sie sich lieber nicht befassen wollte. „Nicht, dass Sie vernünftig genug wären, dieses Angebot anzunehmen", sagte er.
„Ich habe hier ein Zuhause, an dem es nichts auszusetzen gibt", gab sie zurück und versteifte sich angesichts seines Tonfalls.
„Oh ja", konterte er leise. „Und morgen wird ein schöner neuer Tag sein. Vielleicht finden Sie ja dann eine weitere Methode, um sich das Genick zu brechen."
„Holt", ermahnte Rafe seinen Bruder.
„Sie können nicht allein hierbleiben", beharrte er und ignorierte Rafe.
„Ich bin hier nicht allein", widersprach Lorelei, die zuerst überprüfte, ob sie ihr Kleid auch richtig zugeknöpft hatte, bevor sie hinter dem Laken hervorkam. „Melina ist schließlich hier, auch wenn Sie das gar nichts anzugehen hat."
Holt schnaubte aufgebracht. „Also gut, damit ist alles klar. Zwei Frauen, eine davon schwanger, die andere mit so viel Verstand wie der nächstbeste Zaunpfahl, und beide wollen sich gegen Templeton und jeden anderen Gesetzlosen zur Wehr setzen, der zufällig des Wegs kommt."
Lorelei lief rot an. Ein Zaunpfahl?
„Die beiden sollten wir besser mitnehmen", sagte Rafe und schob sich an Holt vorbei, um sich zu Melina zu stellen. „Gibt's auch einen Schuss Whiskey zum Kaffee?"
„Nicht mal im Traum würde ich mit einem von Ihnen mitgehen!", stellte Lorelei klar. Rafe zog eine Augenbraue hoch und nahm den Kaffeebecher entgegen, den Melina ihm hinhielt. Sie gab noch einen großzügigen Schuss Whiskey hinein. „Nicht mal dann, wenn Sie die Chance bekommen, Vieh zu kaufen und Cowboys anzuheuern, damit Sie aus dieser Ranch eine richtige Ranch machen können?"
Loreleis Herz schlug schneller, als sie das hörte. Sie wagte es nicht, Holt anzusehen, obwohl seine Verärgerung so deutlich wahrzunehmen war, als befinde sich eine weitere Person mit im Raum.
„Das wäre was anderes", widersprach sie vorsichtig.
„Oh nein, das wäre es nicht", hielt Holt dagegen.
Sie schaute zu Melina.
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