Wilde Rose der Prärie
um Vieh für meine Ranch zu kaufen. Mr. McKettrick ist mit der gleichen Absicht unterwegs, also ..."
„Wo sind bloß meine Manieren geblieben?", wunderte sich Mary plötzlich, als Loreleis Redefluss abrupt verstummte. „Setzen Sie sich doch, ich mache Ihnen einen Tee."
Lorelei hätte alles für eine Tasse Tee gegeben, doch es war keine Rede davon, dass Tillie und Melina auch eingeladen waren, also zögerte sie. Sie sah zur Seite, dabei fiel ihr Blick auf ein großes Blech mit Zimtweckchen, die zum Abkühlen auf dem Tisch standen. Sofort lief ihr das Wasser im Mund zusammen.
„Ich glaube, dafür ist keine Zeit", äußerte sie schließlich. „Mr. McKettrick will lieber weiterziehen." Als sie wieder Mary anschaute, erkannte sie, dass die ihrem Blick auf das Essen gefolgt war.
„Unsinn. Männer sind immerzu in Eile. Gehen Sie raus und holen Sie Ihre Freundinnen, dann können wir vier uns ein bisschen unterhalten. Wen kümmert es, ob das einem der Männer nicht passt?"
Lorelei hatte einen Kloß im Hals, als sie aus dem Haus lief, um Tillie und Melina zu holen. Melina kam bereitwillig mit, gab sich aber ein wenig schüchtern, während Tillie skeptisch blieb. Vielleicht befürchtete sie eine Falle, bei der die anderen über sie herfielen, um ihr das Kind abzunehmen.
„Komm bitte mit, Tillie", drängte Lorelei. „Ohne dich wird es keine richtige Teeparty sein."
„Ich war noch nie auf einer Teeparty", antwortete sie unschlüssig. „Und Pearl bestimmt auch nicht."
Mary brachte eben ihr Haar vor einem kleinen, gesplitterten Spiegel in Ordnung, als die drei ins Haus kamen. Sie hatte für vier Personen gedeckt, hübsche Teller, die zwar nicht zusammenpassten, und etwas angeschlagene Teetassen. „Heißes Wasser ist dort im Kessel auf dem Ofen", sagte sie gut gelaunt, „und die Schüssel steht da drüben auf dem Waschtisch." Sie lächelte Tillie an. „Legen Sie das Baby ruhig zu meinem Jungen ins Bett. Der Kleine wird von der Fahrt auf dem Wagen ganz erschöpft sein."
Zuerst zögerte Tillie, dann aber ging sie auf den Vorschlag ein.
In der Schüssel wuschen sie sich die Hände, dann setzten sie sich zu Tee und Zimtweckchen an Marys Tisch.
Lorelei konnte sich nicht daran erinnern, wann sie je etwas Besseres gegessen hatte. „Werden Sie auf dem Rückweg nach San Antonio hier wieder vorbeikommen?", wollte Mary wissen, nachdem sie sich über das Wetter, die Mode und die unverschämt hohen Zuckerpreise unterhalten hatten. Die Zeit wurde allmählich knapp, denn jeden Moment würde einer der Männer - am wahrscheinlichsten Holt - in der Tür stehen und ihnen sagen, dass sie sich wieder auf den Weg machen mussten.
„Ich weiß nicht", antwortete Lorelei.
„Vermutlich ja", ergänzte Melina, die auf ihre Manieren geachtet und nur wenig gesagt hatte.
„Wenn Sie mir einen Ballen karierten Gingan mitbringen könnten", bat Mary sie. Ihre Wangen waren gerötet, da es ihr schwerfiel, Fremde um einen solchen Gefallen zu bitten. „Ich wäre Ihnen wirklich sehr dankbar. Ich weiß nicht mehr, seit wann mir der Stoff fehlt, um ein neues Kleid zu nähen." Sie stand von dem niedrigen Hocker auf, den vermutlich ihr Mann gezimmert hatte, und öffnete eine Blechdose. „Ich habe fünf Dollar gespart", verriet sie mit gedämpfter Stimme. „Das sollte eigentlich genügen."
„Wir bringen den Gingan mit, wenn wir ihn irgendwo bekommen", erwiderte Lorelei, die von Marys kindlichem Eifer gerührt war. „Sie können dann immer noch dafür bezahlen."
Mary zog die Hand aus der Dose und schaute Lorelei verblüfft und verlegen an. „Ich hoffe, Sie können wieder herkommen. Und nicht nur für den Gingan." Plötzlich stand Rafe in der Tür. „Zeit zum Aufbruch", sagte er. „Holt wird langsam ungeduldig."
Spontan sprang Lorelei auf, ging zu Mary und umarmte sie. „Welche Farbe?" Tillie nahm das Baby an sich, Melina murmelte ein leises „Dankeschön", dann verließen die beiden das Haus. „Welche Farbe?", wiederholte Mary verständnislos.
„Der Gingan", erklärte sie und dachte an all die prächtigen Kleider, die im Haus ihres Vaters in San Antonio im Schrank hingen. Sie wünschte, sie könnte sie holen und Mary Davis schenken.
Ein Hoffnungsfunke leuchtete in Marys Augen auf. „Blau", antwortete sie. „Ich liebe Blau über alles."
„Dann also Blau", bestätigte Lorelei und verließ ebenfalls das Haus.
26. Kapitel
Obwohl Lorelei am liebsten nicht das Haus der Davis' verlassen hätte, saß sie inzwischen wieder auf Seesaw.
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