Wilde Rosen: Roman (German Edition)
doch bestimmt nicht für den Rest deiner Tage Putzfrau bleiben.«
May wollte protestieren und anführen, daß es ausgesprochen befriedigend sei, seine eigene Firma zu führen. Und das war es auch. Aber eine Reinigungsfirma? »Ich weiß es nicht.«
»Du wartest immer noch darauf rauszufinden, was du mal werden willst, wenn du groß bist?«
»Nein! Doch ... Ich weiß nicht. Ich möchte schon irgendwas machen, ich weiß einfach nicht, was.«
»Was meinen deine Eltern, das du tun solltest?«
»Sie gehören nicht zu der Sorte Eltern. Sie wollen nur, daß ich glücklich bin. Sie würden mich bei allem unterstützen, wozu ich mich entscheide.«
»Also, was kannst du besonders gut?«
»Gar nichts. Das ist der Fluch, den die böse Fee mir bei meiner Taufe in die Wiege gelegt hat. ›Sie soll nicht dumm sein, aber sie soll keine besondere Begabung haben.‹ Und die hab’ ich auch nicht.«
»Du bist praktisch veranlagt, kein übler Tischler. Du bist mutig, ausdauernd und«, schloß er, als ihm die Geflügel-Nugget-Männchen wieder einfielen, »erfinderisch.«
»Ja, aber ...«
»Du kannst wunderbar mit Kindern umgehen, ich habe es selbst gesehen, als wir mit den Jungs auf dem Boot waren.«
»Was?«
»Und du hast gern das Sagen. Wie wär’s mit Lehrerin?«
»Hab’ drüber nachgedacht. Eine Zeitlang hat die Idee mir schon gefallen. Aber ich hab’ keine A-Levels. Und außerdem habe ich überhaupt nicht gern das Sagen.«
»Na schön, sagen wir, du hast eine Begabung, Leute zu manipulieren.«
May schnappte entrüstet nach Luft.
Er ignorierte sie. »Du kannst gut koordinieren. Du solltest zu einer Berufsberatung gehen. Vielleicht trifft eine der Ausnahmeregelungen auf dich zu, und du könntest ohne A-Levels aufs College gehen. Aber wenn du die Hochschulreife brauchst, kannst du sie nachholen.«
Sie kamen durch einen Londoner Stadtteil, wo man offenbar beschlossen hatte, die Weihnachtsbeleuchtung zu rationalisieren, und jeder Baum war mit winzigen, weißen Lichtern betupft. Sie waren wunderschön.
»Da gibt es nur ein kleines Problem«, sagte May.
Hugh warf ihr einen kurzen Blick zu. »Und zwar?«
»Ich habe die Mathematikprüfung bei der mittleren Reife versiebt. Und ohne die geht gar nichts.«
May war keineswegs überrascht, als Hughs lachte, aber verärgert.
»Ich bin nicht durchgefallen. Aber ich habe kein C geschafft.«
»Warum hast du die Prüfung nicht wiederholt?«
»Wozu? Ich hätte doch wieder nur ein D gemacht. Ich kenne eine Frau, die es immer wieder versucht hat. Sie hat es auf fünfzehn Ds in Mathematik gebracht.«
»Woher willst du wissen, daß du wieder nur ein D geschafft hättest? Und wenn das alles ist, das dich davon abhält, etwas Sinnvolleres mit deinem Leben anzufangen, als zu putzen, ist es doch sicher einen Versuch wert, oder?«
»Wer behauptet, Putzen sei nicht sinnvoll? Du bist einfach ein Snob in der Hinsicht. Du würdest nicht gern zugeben, daß du im Begriff bist, Weihnachten mit einer Putzfrau zu verbringen.«
Er holte tief Luft. »Da hast du nicht unrecht. Aber ich werde natürlich ein Geheimnis daraus machen. Wegen dem drohenden Gesichtsverlust.«
»Wegen des.«
»Da siehst du’s. Ich sage doch, du solltest Lehrerin werden. Du liebst es, Leute zu verbessern.«
»Das ist nicht wahr! Und was wäre, wenn ich keine Disziplin in einer Klasse halten könnte?«
»Damit hattest du keinerlei Probleme, als mein Bruder diese Horde Bengel auf dein Boot gebracht hat.«
May betrachtete ihn mitleidig. »Aber diese Bengel, wie du sie nennst, waren liebe, kleine, privilegierte Jungs einer Privatschule. Richtige Kinder sind was ganz anderes.«
Hugh lachte, ziemlich überheblich für Mays Geschmack. »Wenn du glaubst, aus guten Verhältnissen zu kommen und eine Eliteschule zu besuchen hindere kleine Jungs daran, sich wie Wilde aufzuführen, hast du bisher ein noch behüteteres Leben geführt, als ich angenommen hatte. Ich gebe zu, es waren nette Jungs, und mein Bruder war dabei. Aber das Entscheidende ist: Du hast ihr Interesse geweckt. Sie haben sich gut benommen, weil du ihre Aufmerksamkeit gefesselt hast.«
»Na ja, Kanäle sind eben interessant.«
»Nicht besonders.«
»Was soll das heißen?« fuhr May empört auf. »Sie sind faszinierend!«
»Für dich vielleicht. Möglicherweise sogar für mich. Aber viele Leute betrachten sie nur als irgendein Gewässer, wo man sein altes Fahrrad kostengünstig entsorgen kann. Worauf ich hinauswill«, fuhr er fort und ignorierte ihre
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