Wilde Rosen: Roman (German Edition)
ihn war, sie könne dort saubermachen. »Sollten Sie Ihre Meinung ändern ...«
»Aber ich werde Ihre Karten bei Freunden und Kollegen verteilen«, unterbrach er sie.
»Wirklich anständig von Ihnen. Aber da wir nur arme Putzfrauen sind, haben wir so was Vornehmes wie Karten nicht. Nur Handzettel.«
»Na ja, dann geben Sie mir einen Stapel davon mit.«
»Ich muß erst neue von Sally besorgen. Sie hat den Fotokopierer.«
»Herrgott noch mal, May! Sie sollten ein bißchen besser organisiert sein.«
Sie mußte gestehen, daß seine Kritik gerechtfertigt war. »Ich weiß. Vielleicht sollten wir auch Visitenkarten haben. Es gibt so schrecklich viel zu bedenken.«
Er nickte. »Und was ist nun das Besondere an diesen Kanälen, das Sie so wild entschlossen macht, ihr Boot zu behalten?«
May überlegte, wie sie es am besten erklären könnte. »Ich liebe es einfach, hier so entlangzuschippern. Bei jeder Biegung, jeder Brücke ist es, als schlage man eine neue Seite in einem Buch auf. Man weiß nicht, was man zu sehen bekommt, wie die Landschaft sein wird. Es kann passieren, daß Sie eben noch durch ein häßliches Industriegebiet gefahren sind, und im nächsten Augenblick finden Sie sich plötzlich in einem Wald wieder. Und bei dieser Geschwindigkeit kann man die Dinge wirklich ansehen, die man passiert, nicht wie im Auto.«
»Man merkt, daß diese Sache es Ihnen richtig angetan hat.«
»Ja. Wenn ich den ganzen finanziellen Schlamassel hinter mir habe, werde ich viel mehr herumfahren.«
»Das wäre aber ziemlich schwierig, wenn Sie einen Job haben, oder?«
May schüttelte den Kopf. »Nicht unbedingt. Wenn ich mich nicht allzu weit von London entferne, könnte ich meine Arbeitsstelle immer erreichen, egal, wo ich gerade bin. Es gibt so viele Kanäle, wissen Sie.«
»Verstehe.«
Plötzlich war May verlegen. Bei ihrem Lieblingsthema fand sie einfach nie ein Ende. »Tut mir leid, mein Geschwafel muß ziemlich langweilig sein.«
»Durchaus nicht. Es klingt sehr faszinierend.«
May sah ihn scharf an, und im selben Moment sah er zu ihr hinunter. Ihre Blicke trafen sich, und May überkam auf einmal eine gräßliche Schwäche, als brüte sie eine schwere Erkältung aus. Es hing irgendwie damit zusammen, wie seine Haare sich im Nacken kräuselten oder mit der Form seines Halses.
May räusperte sich hastig. »Möchten Sie vielleicht das Ruder übernehmen? Dann mach’ ich Tee.« Sie überließ ihm die Ruderpinne, verschwand kurz im Maschinenraum und kam dann wieder zum Vorschein. »Wissen Sie, wie man damit umgeht? Sie drücken die Pinne entgegengesetzt zur gewünschten Richtung.«
»Ich weiß.«
In ihrer vertrauten Kombüse, die sie selbst entworfen und gebaut hatte, und seiner beunruhigenden Präsenz entkommen, fühlte sie sich gleich viel besser. Das müssen Pheromone oder so was sein, dachte sie, während sie den Kessel füllte. Es ist Monate her, seit du zuletzt die Arme eines Mannes um dich gespürt hast. Jeder ungebundene Mann unter vierzig von halbwegs akzeptablem Aussehen muß naturgemäß diese Wirkung auf dich ausüben. Sie kippte den kalten Tee mitsamt Teebeuteln aus dem Fenster in den Kanal, einigermaßen beruhigt von dieser Erklärung. Und sie ignorierte geflissentlich die Tatsache, daß Jed zwar zu dieser Kategorie Mann zählte und ein angenehmer Bootsnachbar war, aber nie irgendeinen Effekt auf ihre Herzfrequenz gehabt hatte.
Sie war überzeugt, das Problem im Griff zu haben, stellte Teebecher und Kekse auf ein Tablett und trug es hinaus. Doch als sie ihm seinen Tee reichte, erhaschte sie einen Hauch von seinem Aftershave, und ihre Knie wurden wieder weich. Du bist genauso schlimm wie Sally, schalt sie sich und zog einen Vollkornkeks aus der Schachtel. Kaum läuft dir ein Mann über den Weg, schon übernehmen deine Hormone das Ruder. Und vielleicht ist er ja gar nicht ungebunden. Vielleicht sollte sie das mal in Erfahrung bringen.
»Ich übernehme jetzt wieder«, sagte sie.
Er überließ ihr die Pinne und setzte sich aufs Kabinendach, so daß seine Füße über der Luke zum Maschinenraum baumelten.
Sie betrachtete ihn neugierig. Konnte sie ihn einfach so fragen, ob er verheiratet war? Schon. Aber wenn er nein sagte, konnte sie nicht weiter bohren und fragen, ob er mit jemand zusammenlebte oder so was. Er durfte auf gar keinen Fall das Gefühl haben, sie wolle ihn anbaggern, bloß nicht. Obwohl es sehr komisch war, sich seine entsetzte Miene vorzustellen, wenn sie es täte. Sie wünschte, sie hätte
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