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Wilder Als Ein Traum

Titel: Wilder Als Ein Traum Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Teresa Medeiros
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sich herab. Er krachte zu Boden und krümmte sich, als hätte er nicht das Herz des Meuchlers, sondern sein eigenes durchbohrt.

24
    Als Colin schwankend auf die Füße kam, fand er Tabitha, den Kopf des gestürzten Reiters sanft in ihrem Schoß, im Regen sitzen. Vor Schreck und Überraschung ging er in die
Knie und wäre vielleicht nie wieder aufgestanden, hätte Tabitha ihn nicht derart flehend angesehen. Tränen rannen über ihre Wangen und mischten sich mit dem Regen, während er langsam näher kroch.
    Allmählich taute sein erstarrtes Hirn ein wenig auf, und als er die Hand nach der Kapuze der reglosen Gestalt ausstreckte, fürchtete er, dass eine Wolke dunkler Locken unter dem Stoff zum Vorschein kommen würde.
    Doch es war Chauncey, der mit todesbleichem Antlitz an Tabithas Busen lag.
    Mit einer blutbefleckten Hand strich sie ihm eine Locke seiner Haare aus den blinden Augen. »Ich hatte den Hügel gerade überwunden, als ich ihn kommen hörte«, sagte sie. »Wahrscheinlich wollte er mich vor etwas warnen.« Sie sprach leise und stockend, und nach allzu vielen Nächten auf blutgetränkten Schlachtfeldern erkannte Colin dies als Zeichen eines Schocks. Er sehnte sich danach, sie zu berühren, aber im Moment musste er sie am besten einfach weitersprechen lassen. »Weißt du, ich war es wirklich leid, ständig im Kreis zu reiten und immer wieder vom Pferd zu fallen - deshalb hatte ich beschlossen, eine Zeit lang zu Fuß zu gehen. Es war nicht seine Schuld, weil es wirklich ein nettes Pferd ist, das einfach keinen Donner mag.«
    Colin blickte auf und entdeckte das Tier, das geduldig ein paar Meter weiter stand, ohne das Schnauben von Lyssandras Sturmvogel zu beachten.
    Obgleich Tabitha Chauncey wegen des aus seinem Rücken ragenden Pfeils schlecht halten konnte, wiegte sie ihn klagend hin und her. »Ich habe ihn dazu gezwungen, mich auf MacDuffs Burg zu bringen. Er hat mich angefleht, dir zu gehorchen und bei der Hütte zu bleiben; aber ich dachte, das alles wäre nichts weiter als ein wunderbares Abenteuer. Ein aufregendes
Spiel. Mir war einfach die Gefährlichkeit meines Vorhabens nicht klar. Wenn ich es richtig eingeschätzt hätte, wäre er vielleicht nicht tot. Jetzt kann er nie wieder mit seiner Mutter streiten oder mit seinen Freunden Schwertkämpfe austragen oder ein hübsches Milchmädchen küssen oder …«
    »Tabitha …« Colin wollte ihr die Last der Schuldgefühle und des Schmerzes abnehmen, aber mittlerweile kannte er ihr Gemüt.
    Als ihr Blick auf seine Brust fiel, war der jämmerliche Hoffnungsfunke, der in ihren Augen aufblitzte, beinahe mehr, als er ertrug. »Das Amulett, Colin! Gib es mir bitte, schnell!«
    Er zog die Kette über den Kopf und ließ den Smaragd in ihre ausgestreckte Hand gleiten. Ihm lag auf der Zunge, dass es manchen Zauber gab, zu dem einzig der liebe Gott befähigt war; aber er fürchtete, sie würde ihm nicht glauben.
    Sie kniff die Augen zusammen und murmelte eine inbrünstige Litanei. Als sie sie nach einer Weile wieder öffnete, rannen ihr frische Tränen über die Wangen, und Chauncey lag nach wie vor reglos in ihrem Schoß. »Ich habe es mir gewünscht. Von ganzem Herzen habe ich mir gewünscht, dass er wieder atmet. Was nützt einem Magie, wenn sie die Wünsche gar nicht erfüllen kann?«
    Verbittert holte sie aus und schleuderte das Amulett, so weit sie konnte, von sich.
    Als Colin ihr Chauncey vorsichtig aus den Armen nahm, blieb sie stumm sitzen, legte die Stirn auf die angezogenen Knie und schaukelte im Regen hin und her.
    Eine Ewigkeit später wieder auf den Füßen, hatte sie das Gefühl, aus einem tiefen Schlaf erwacht zu sein. Der Regen hatte nachgelassen und fiel wie weicher Nebel auf die Erde, der die hässlichen Wunden verschloss, die das Unwetter geschlagen
hatte. Colin war nirgendwo zu sehen, aber aus dem Wald hörte sie die dumpfen Laute, wenn Stein auf Stein traf.
    Sie folgte dem Geräusch, schob einen Zedernast zur Seite und fand ihn, wie er Steine auf ein flaches Grab häufte. Seinen schlammverkrusteten Armen und schmutzigen Fingernägeln war anzusehen, dass er ohne Werkzeug ein Loch aus dem durchnässten Boden gehoben hatte.
    Er weinte ohne jede Scham, vollkommen lautlos und ohne die Miene zu verziehen. In der Erkenntnis, dass sie ihre eigene Trauer einfach herausgeschrien hatte, ohne zu bedenken, dass auch Colin litt, sammelte Tabitha wortlos Steine in ihrem Rock. Seite an Seite bedeckten sie das unscheinbare Grab und sanken dann verdreckt und

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