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Wilder Als Ein Traum

Titel: Wilder Als Ein Traum Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Teresa Medeiros
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Reisetaschenlampe, einen halb gegessenen Schokoriegel, eine Packung zuckerfreier Kaugummi. Obgleich sie erst vor ein paar Stunden von Brisbane hier eingekerkert worden waren, konnte sie sich nicht erinnern, wann sie zum letzten Mal gegessen oder getrunken oder geschlafen hatte.
    Wahrscheinlich, weil es mehrere Jahrhunderte später gewesen war …
    Was täte Onkel Cop, wenn ihm ihr Verschwinden auffiele? Würde er die Polizei verständigen oder annehmen, dass sich in dem Umschlag, den er ihr ausgehändigt hatte, irgendeine wichtige Information über den Verbleib ihrer Eltern befand? Er konnte nicht wissen, dass sie das Amulett ihrer Mutter entdeckt hatte. Traurig musste sie sich eingestehen, dass es Tage dauern könnte, ehe sie überhaupt irgendjemandem fehlte. Sie hatte keine engen Freunde, und ihre Kollegen im Labor feierten sicher die Abwesenheit ihrer perfektionistischen Chefin, statt sich Gedanken zu machen über ihren Verbleib.
    Seit seinen Eröffnungen bewahrte Sir Colin Schweigen. Sein Verstummen vertiefte die Eiseskälte noch, die Tabitha
neben ihrer Furcht empfand. Falls ihre Eltern diese bizarre Begegnung nicht arrangiert hatten, dann waren sie auch sicher nicht zu Hause und freuten sich über den gelungenen Streich. Dann waren sie immer noch nicht zurück, vielleicht sogar … Erschauernd schob sie den Gedanken von sich; denn am besten zöge sie gar nicht erst in Erwägung, was nicht zu akzeptieren war.
    Erst als Sir Colins leises Schnarchen die gespenstische Stille durchdrang, schlich sie verstohlen zu dem Eimer in der Ecke, wo sie sich mit glühenden Wangen erleichterte.
    Anschließend tastete sie sich zitternd dorthin, wo sie den Umriss des schlafenden Ritters sah. Auch wenn sie fast ihr Leben lang einsam gewesen war, hatte sie sich doch nie zuvor derart allein gefühlt. Sie konnte es Colin nicht verübeln, dass er ihr nicht wohl wollte. Innerhalb weniger unbedachter Minuten hatte sie einen Ruf zerstört, für den er über Jahre hinweg gekämpft hatte.
    Die Flamme der Fackel zischte. Tabitha biss sich auf die Lippen und betete, dass sie noch nicht erlosch - doch mit einem letzten Seufzer ergab sich der Docht der vollkommenen Dunkelheit.
    Tabitha erstarrte. Zwar hatte sie in New York einige Stromausfälle miterlebt, nie zuvor jedoch in einer solchen Finsternis gehockt. Sie drückte sie nieder wie ein bleiernes Gewicht, und plötzlich kam Tabitha sich nicht mehr gefangen, sondern lebendig begraben vor. Sie vergaß, gelähmt von ihrer Furcht, zu atmen, und merkte nicht mal, dass das rhythmische Schnarchen neben ihr aussetzte.
    Dann kam es näher. Das gefürchtete Rascheln von Krallen auf Stein.
    Tabitha vergaß all ihren Stolz, machte einen Satz und landete auf Colins Brust. Während sie sich an seinen breiten,
warmen Körper drückte, wartete sie darauf, dass er sie anbrüllte, von sich schleuderte oder für ihre Feigheit auslachte.
    Sämtliche seiner Muskeln waren hart wie Stein; doch nach langem Schweigen stieß er einen müden Seufzer aus, zog sie in seine Arme und legte sein Kinn auf ihren Kopf.
    »Keine Angst, Mädel«, murmelte er. »Ich bin den Ratten viel zu zäh und du bist ihnen viel zu dürr.«
    Nie zuvor hatte ein Mensch Tabitha jemals dürr genannt. Sie legte ihre Wange dicht an seine Brust und stellte verwundert fest, dass ihre Zähne nicht mehr klapperten. Sein Kettenhemd hätte kalt sein müssen, aber der Körper darunter verströmte eine Hitze wie ein Ofen.
    Während sich ihre Anspannung ein wenig legte, überlegte sie, ob Brisbane sie hier wohl verrotten ließe. Vielleicht grübe ja irgendwann, Jahrhunderte später, jemand diese Zelle aus und fände ihre Knochen in der Umarmung zweier Liebender? Was der Gipfel alles ihr widerfahrenen Unrechts wäre - denn der Mann, der sie so zärtlich festhielt, fremdelte in Wahrheit ganz fürchterlich.
    Mit einem wehmütigen Seufzer schob sie eine Hand in ihr Pyjamaoberteil und tastete vorsichtig nach dem Amulett. »Ich wünschte …«, setzte sie leise an, doch ehe sie den Satz zu Ende bringen konnte, fielen ihr die Augen zu, und sie verfiel in einen unruhigen Schlummer.

7
    Ihre Mutter hatte sie mehr als einmal davor gewarnt, vor dem Schlafengehen Schokolade zu essen, erinnerte sie sich.
    Sie hätte auf sie hören sollen, dachte Tabitha, während sie
ihr Gesicht tiefer in dem dicken, weichen Kopfkissen vergrub. In ihrem Traum waren zahllose bizarre Wesen vorgekommen, einschließlich eines Feuer speienden Hengstes, eines freundlich lächelnden

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