Wilder Als Ein Traum
Sie Geld für ein neues Schwert« - gegen ihren Willen fiel ihr Blick auf seine nackte Brust, sodass sie sich verlegen räusperte - »oder für ein neues Hemd brauchen?«
Seine zusammengekniffenen Augen verrieten, dass er mit seiner Geduld am Ende war. Er schlang die zarte Kette um seine geballte Faust und zog daran, bis die Entfernung zwischen Tabithas Gesicht und seinen Lippen nur noch einen Hauch betrug. Die Muskelstränge in seinen sonnenbraunen Unterarmen waren ein Mahnmal seiner Kraft. Er könnte ihr die Kette abnehmen, wenn er es wollte. Alles könnte er ihr nehmen, ohne ihrer Zustimmung zu bedürfen, und sie wäre machtlos dagegen. Diese Erkenntnis raubte ihr den Atem, und sie sah ihn sprachlos an.
»Ich gebe Euch das Amulett zurück. Wenn ich es sage, dann meine ich es auch so!«
»Schwört es mir«, flüsterte sie und hoffte, sie ginge damit nicht zu weit.
»Nun - Ihr habt mein Wort.«
Tabitha blickte zögernd auf. Da er von seiner Ehre geradezu besessen schien, hielt er vermutlich sein Versprechen.
Langsam ließ er die Kette los und wartete ab.
Sie zog sich das Amulett über den Kopf, legte es in seine Hand und verspürte einen Stich der Verzweiflung, als er seine
Finger um das Schmuckstück schloss. Soeben hatte er mehr Macht über sie gewonnen, als je ein Mann zuvor.
Dann hob er drohend einen Finger. »Wagt ja nicht, auch meinen Leuten etwas zu stehlen. Sie haben unter Brisbane genug gelitten. Wenn Ihr also meine Gastfreundschaft annehmt, haltet Euch an meine Gesetze - oder ich ziehe Euch für Eure Taten zur Rechenschaft.« Sein strenger Blick gemahnte sie daran, dass es um wesentlich mehr als ihre Haare ging.
»Ja, Sir«, stieß sie zornig aus. Tabitha Lennox war es nicht gewohnt, sich die Leviten lesen zu lassen - vor allem nicht von irgendeinem glücklosen Möchtegern-Lancelot.
Zufrieden schob er die Kette in seinen Hosenbund und schlenderte zu seinem Pferd.
Tabitha starrte ihm wütend nach. »Sie brauchen sich gar nicht so aufzublasen. Schließlich haben Sie dem Schottenkiller einen Dolch geklaut.«
Grinsend sattelte er seinen Hengst. »Das stimmt. Aber erst, als ich sicher war, dass er ihn nicht mehr brauchte.«
Gegen Mittag gab sich Tabitha den verlockenden Fantasien hin, Sir Orricks Dolch zwischen die Schultern eines gewissen Schotten zu stoßen. Vor allem, weil sie immer wieder ewig lange Strecken zu Fuß liefen, damit das arme Pferd bei Kräften blieb.
»Der blöde Gaul ist sicher noch munterer als ich«, maulte Tabitha, während sie durch einen Bachlauf watete. Die Gummisohlen ihrer Pantoffeln blieben im Schlamm hängen und die zuvor übermütig grinsenden Gummistreifenhörnchen runzelten ärgerlich die Stirn.
Sie nahm an, dass die Schuld an ihrer Misere niemand anderen als ganz allein sie selber traf. Am Morgen war sie, als Colin vom Rücken des Pferdes geglitten war, um sie allein
reiten zu lassen, ihrerseits so eilig abgestiegen, dass sie beinahe auf seinen breiten Schultern gelandet wäre.
»O nein, so geht das nicht«, hatte sie sich gewehrt. »Ich reite diesen Pegasus ganz sicher nicht allein. Sie bleiben im Sattel und ich gehe zu Fuß.«
»Aber ich kann unmöglich reiten, während eine Frau neben mir herläuft. Das wäre einfach nicht ritterlich.«
Keiner von ihnen hatte nachgegeben, und so legten sie beide auf Schusters Rappen den Weg zu Colins Burg zurück, während der Hengst, mit Lucy als einziger Reiterin, fröhlich dahintänzelte. Jedes Mal, wenn sie die Kuppe eines Hügels erklommen, reckte Tabitha in der verzweifelten Hoffnung ihren Hals, eine Replika von Dornröschens Schloss am Horizont auftauchen zu sehen.
Als sie ungefähr zum zwölften Mal den Kopf durch eine Öffnung im Dickicht streckte, schlang Colin das Gummiband ihres Hosenbundes um seine Faust und zerrte sie unsanft zurück. »Was, in aller Welt, ist mit Euch los? Wenn Ihr weiter so trödelt, erreichen wir mein Land frühestens um Mitternacht.«
»Um Mitternacht?« wiederholte Tabitha schwach.
»Ja. Und dann ist es noch eine halbe Tagesreise bis zur Burg.«
Tabitha unterdrückte einen Seufzer und dachte, während sie hinter ihm her trottete, voller Bedauern, dass sie einfach zu selten auf die elektronische Tretmühle in der Ecke ihrer Wohnung gestiegen war. Die Sonne schien ihr ins Gesicht, verbrannte ihre zarte Haut und machte sie beinahe blind. Sie hatte so viel Zeit in ihrem Leben in einem verdunkelten Büro vor dem Bildschirm eines Computers zugebracht, dass sie sich fühlte wie ein
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