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Wilder Als Ein Traum

Titel: Wilder Als Ein Traum Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Teresa Medeiros
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der zerstörten Mauer ritten, die sowohl die Burg als auch das Dorf umgab, spiegelte sich in Colins
Augen der Verfall der ganzen Anlage. Tabitha fragte sich, wie oft er wohl in den vergangenen sechs Jahren von der Rückkehr an diesen Ort geträumt hatte. Wahrscheinlich hatte er erwartet, mit Fanfarenklängen und Freudenschreien seiner Familie begrüßt zu werden und nicht vom Heulen des Windes, der durch die darniederliegenden Gemäuer blies. Das melancholische Geräusch ließ sie erschauern, da es sie daran erinnerte, wie weit entfernt sie selbst von ihrem Heim und ihrer Familie war.
    Merkwürdigerweise hatte sich der Nebel während ihres Weges durch das Tal gelichtet, geradezu starrsinnige Windböen hatten die Wolken vertrieben und den Himmel während des Sonnenuntergangs in ein schmerzlich schönes Rot getaucht. Die Ruinen mehrerer mit Lehm beworfener Flechtwerkhütten kauerten im Schatten der Mauer, die sie nicht zu schützen vermocht hatte. Ihre reetgedeckten Dächer waren von brennenden Pfeilen versengt worden, und die Balken hingen geborsten von den Decken herab. Nichts und niemand rührte sich in den ehemaligen Behausungen.
    »Sie sind fort«, entfuhr es Colin grimmig. »Was ich ihnen nicht verdenken kann. Hier gab es nichts mehr für sie. Keine Unterkünfte. Keine Nahrungsmittel. Keinen Gutsherren. Nur den Tod.« Sein Blick wanderte über den menschenleeren Hof und fiel dann auf all die Gräber inmitten niedergetrampelten Grases. Tabitha fragte sich, ob eines von ihnen wohl das Grab von seinem Vater war.
    Seine Miene wurde hart. »Roger hat die Burg nicht einmal so weit geschätzt, um sie für sich zu reklamieren. Er wollte sie endgültig zerstören, weil sie mein Zuhause war.«
    »Wie konnte Ihr Gott so etwas zulassen?«, fragte Tabitha erstickt.
    »Es war die Kirche, die mein Eigentum hätte schützen sollen.
Weshalb sollte ich Gott Vorhaltungen machen, wenn eine Hand voll Priester so gierig waren und sich lieber an Rogers Bestechungsgeldern bereichert haben, als ihrem Gelübde die Treue zu bewahren?«
    »Lasst uns diesen verfluchten Ort wieder verlassen«, meinte Arjon, während er nervös über das Schlachtfeld schaute. »Ich kenne genug Edelleute, die bereit wären, gut zu zahlen für einen kühnen Ritter wie dich. Wir werden fantastische Abenteuer bestehen und zahllose hübsche Weibsbilder haben …« Er stöhnte schmerzlich auf, als Tabitha ihre Fingernägel in seinem Arm vergrub.
    »Tut mir Leid«, murmelte sie. »Ich dachte, ich fiele von Ihrem Pferd.«
    Colin ließ Lucy auf seinem Sattel hocken, glitt aus den Steigbügeln und schritt langsam über den Hof. Arjon lenkte sein Pferd respektvoll ein Stückchen zurück, um es seinem Freund zu ermöglichen, ungestört Zwiesprache zu halten mit seiner Vergangenheit.
    Als Colin in einer abwartenden Reglosigkeit erstarrte, die mit anzusehen richtig wehtat, fragte sich Tabitha, ob er an die Burg zurückdachte, wie sie vor seinem Fortgang existiert hatte - Hort einer geschäftigen, aufstrebenden Gemeinschaft, wo gelacht und gesungen wurde.
    Aus dem Augenwinkel nahm sie plötzlich eine Bewegung wahr. Wäre Arjon nicht ebenfalls lauschend stillgestanden, hätte es vielleicht Einbildung sein können. Doch mit einem Mal tauchte aus einer der zerstörten Hütten eine hochgewachsene, ausgemergelte Frau mit einem hohlwangigen Kind im Schlepptau auf.
    Deren Verwegenheit war der Auslöser dafür, dass weitere schemenhafte Gestalten aus den Ruinen gewankt kamen. Zwei. Drei. Fünf. Zehn. Sechzehn. Dreißig. Tabitha hielt den
Atem an. Dies war eine kleine Armee aus Frauen, Kindern und alten Männern, in Lumpen gehüllt, doch überraschend stolz - nicht gebrochen, sondern lediglich gebeugt. Zuerst dachte Tabitha, alle Kinder wären Mädchen; aber als sie genauer hinblickte, machte sie unter ihnen viele Jungen aus. Hartgesichtige, langhaarige Jungen an der Schwelle zum Erwachsenwerden, jung genug, dass ihnen der Tod erspart geblieben war, nicht jedoch die Verwüstung ihrer Heimat durch eine plündernde Armee.
    Sie alle waren derart auf Colin konzentriert, dass sie Arjons Pferd im Schatten der Mauer gar nicht bemerkten.
    Colin stand immer noch reglos da, als fürchte er, bei einer plötzlichen Bewegung stürzten die sich ihm nähernden Gestalten wieder davon.
    Die erste Frau blieb direkt vor ihm stehen. Ihre kleine Tochter machte ein Stückchen hinter ihr Halt und sah mit erloschenem Blick um sich.
    »Ist er ein Geist?«, wisperte eine plumpe Dazugekommene.
    »Was denn

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