Wilder Als Ein Traum
sonst, Iselda?«, gab die große Frau streng zurück. »Natürlich ist er ein Geist.«
Eine ältere Person, die an einer groben Pfeife sog, nickte weise mit dem Kopf. »Magwyn hat Recht. Chauncey hat mit eigenen Augen gesehen, wie Lord Colin gefangen genommen wurde. Brisbane wäre sicher nicht so dumm gewesen, ihn am Leben zu lassen.«
Eine kaninchenäugige Jugendliche mit weizenblondem Haar rang ihre bleichen Hände. »Aber warum ist er hierher zurückgekehrt? Vielleicht einfach als Engel, der uns vor neuem Unglück warnen soll.«
Magwyns Lachen war so bitter, dass Tabitha bei dem Klang erschauerte. »Falls ja, kommt seine Warnung etwas
spät. Man sollte meinen, dass einer von den Überirdischen es mit seiner Pflicht ein bisschen genauer nimmt.«
»Hör auf mit deiner lästerlichen Rede, meine Liebe«, schalt die Ältere. »Wir sollten beten und Gottes Rat suchen, um zu erkennen, was es mit diesem himmlischen Besucher auf sich hat.«
Als die Alte in die Knie ging, machten es ihr einige der anderen gehorsam nach. Schließlich sank selbst Magwyn zu Boden, auch wenn ihre Schultern starr blieben und sich ihr Kopf nur widerwillig neigen wollte.
Trotzdem war sie diejenige, der sich Colin vorsichtig näherte, war es ihr Kinn, das er sanft in seine Hände nahm, damit sie den Kopf hob und ihn anblickte. Verwundert strich sie über seine Hand, als wolle sie ganz sichergehen, dass er tatsächlich mehr als nur ein Trugbild war.
»Ihr seid kein Geist«, stammelte sie überrascht.
Bei diesen Worten blickten die anderen Dorfbewohner eilig auf und starrten ihren Herren mit großen Augen an.
»Nein, das bin ich nicht«, bestätigte er ihnen. »Obgleich Brisbane sein Bestes getan hat, mich dazu zu machen.«
Tränen rannen über die Wangen der Frau, als sie den Kopf neigte und Colins Hand an ihre Lippen hob. »Er lebt. Dem Himmel sei Dank, unser Herr lebt!«
»Erhebt Euch, Magwyn.« Seine Stimme war sanft, doch seine Miene hart wie Stein, als er sie auf die Füße zog. »Kniet vor Gott, soviel Ihr wollt - aber solange ich Herr auf Ravenshaw bin, beugt Ihr nie wieder die Knie vor einem Menschen. Habe ich mich verständlich ausgedrückt?«
Die Frauen, Kinder und alten Männer scharten sich dicht um ihren Herren, plapperten aufgeregt durcheinander und riefen immer wieder selig: »Lord Colin lebt! Er ist kein Geist!«
»Das hätte ich Euch auch sagen können«, rief Arjon und führte seinen Wallach aus dem Schatten der Mauer in die Mitte des Hofs.
»Sir Arjon! Seht nur, es ist Sir Arjon!«, riefen sich die Leute gegenseitig und streckten erfreut die Hände nach ihm aus.
»Hütet Eure Herzen!«, warnte Magwyn, während sie ihn lachend küsste. »Sonst macht sich dieser normannisch-gälische Schwerenöter mit ihnen aus dem Staub.«
Das kaninchengesichtige blonde, junge Mädchen bedachte Tabitha mit einem bösen Blick. »Sieht aus, als hätte er bereits eines geraubt.«
Tabitha empfand ehrliche Freude über das Glück der Dorfbewohner; doch als sie plötzlich von allen angestarrt wurde, wurde ihr Gesicht zu einer Maske vollkommener Ausdruckslosigkeit. Sie fühlte sich wie auf der High School, wo ihre fürchterliche Schüchternheit so häufig als Herablassung missdeutet worden war.
»Wollt Ihr uns Eure Gemahlin nicht vorstellen, Sir Arjon?« fragte Magwyn und lächelte Tabitha neugierig, doch durchaus freundlich an.
»Ich - ich …«, stotterte Tabitha, wobei sie bis unter die Haarwurzeln errötete.
Ehe sie ihren Satz jedoch beenden konnte, hatte Colin ihre Hand gepackt, sie vom Rücken des Pferdes in seine Arme gezogen und mit einem amüsierten und zugleich warnenden Blick in ihre Richtung verkündet: »Sie ist nicht Sir Arjon, sondern mir angetraut!«
Tabitha war immer noch außer sich vor Zorn, als sie unter einem funkelnden Sternenhimmel, der sie an eine der Auslagen bei Tiffany erinnerte, zu Abend aß. Die grellen Lichter der Großstadt hatten sie so lange geblendet, dass sie vollkommen
vergessen hatte, wie betörend eine Sommernacht doch war. Die Sterne hingen wie zahllose, tränenförmige Diamanten über dem Tal und luden kühne Träumer dazu ein, einen von ihnen von dem schwarzen Samtkissen zu pflücken. Wäre allerdings Tabitha närrisch genug und streckte tatsächlich die Hände nach den Strahlern aus, entzögen sie sich zwinkernd ihrem Griff.
»Hühnchen, Mylady?«
Ehe Tabitha ablehnen konnte, hatte man ihr bereits einen der gerösteten Vögel auf den vor ihr liegenden Kanten braunen Brots gelegt. Sie
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