Wildes Begehren
weiter auf den Stumpf ein. Er hätte nach Hause kommen, seiner Mutter von Isabeau erzählen und sie um ihren Rat bitten sollen. Stattdessen war er Drake hinterhergereist, dem einzigen Menschen, der ihn je anständig behandelt hatte. Warum bloß, was hatte er von ihm gewollt? Irgendeine Form von Absolution? Was Marisa dazu gesagt hätte, war ihm jedenfalls klar.
Das lange, durchdringende Gebrüll, das er ausstieß, erfüllte den ganzen Wald mit seiner Wut. Er hatte sich wie ein Feigling in der Ferne versteckt, wo niemand sehen konnte, wie sehr die Begegnung mit Isabeau ihn innerlich erschüttert hatte. Als er begriff, wer sie war, war es bereits zu spät, ihre Beziehung war schon zu weit fortgeschritten. Er hatte
die zwei Frauen, die er liebte, enttäuscht. Und nun war seine Mutter tot …
Conner brüllte den Himmel an, schrie seine Trauer in den Regen. In Tiergestalt fiel es ihm wesentlich leichter, seinen leidenschaftlichen Gefühlen freien Lauf zu lassen. Holzsplitter flogen nach allen Seiten. Zerfetzte Pflanzen und Erde gleich hinterher. Nichts entging der schrecklichen Rache der Krallen, die die Stämme und Wurzelgeflechte mehrerer großer Bäume beharkten.
Kleine Nager hockten zitternd vor Angst in ihren Stollen und Höhlen. Vögel schwangen sich erschrocken in die Lüfte und vergrößerten das Chaos. Der kräftige Leopard zerstörte einen Termitenhügel, verteilte die Reste in alle Richtungen, grub die Krallen in einen matschigen Abhang und zog sich eine steile Böschung hoch zur nächsten Reihe von Bäumen, in der er jeden einzelnen mit tiefen Kratzern markierte.
Plötzlich kräuselte er die Nase und öffnete den Mund, um zu wittern, und sofort füllten seine Lungen sich mit dem Geruch seiner Gefährtin. Mit gefletschten Zähnen wirbelte das Tier herum, die goldenen Augen stechend, wild, ein leises Knurren noch in der Kehle. Isabeau stand nur wenige Meter von ihm entfernt, mit vorgerecktem Kinn und festem Blick, doch sie zitterte, und Conner roch, dass sie Angst hatte.
»Sie haben gesagt, es sei gefährlich, hinter dir herzulaufen«, sagte sie.
Ihre Stimme bebte leicht, doch das wirkte eher besänftigend auf den Leoparden. Sie war ihm freiwillig durch den dunklen Urwald gefolgt. Sicher war es nicht schwer, der Spur der Zerstörung zu folgen, doch Isabeau sah sehr einsam aus, zart und viel zu ängstlich. Conner zügelte seinen
Leoparden, unterdrückte seine Wut, stellte die angelegten Ohren wieder auf und tat sein Bestes, das große Tier lieb und nett aussehen zu lassen, was nicht ganz leicht war. Als er einen Schritt auf Isabeau zu machte, stockte ihr der Atem, und ihre Hand schloss sich fester um den abgerissenen Ast, der ihr als Stütze diente, doch sie wich nicht zurück.
Isabeaus erschrockene Reaktion ließ Conner mitten in der Bewegung innehalten, denn er wollte nicht, dass sie weglief. Er hatte den Leoparden unter Kontrolle, aber sollte sie fliehen, würde sein Jagdinstinkt geweckt werden. Er wusste zwar, dass er ihr nie etwas tun würde, wollte ihr jedoch auf keinen Fall Angst einjagen.
»Anscheinend habe ich etwas gesagt, das dich wütend gemacht hat, Conner«, fuhr Isabeau fort. »Ich wollte dir sagen, dass es nicht meine Absicht war, unschöne Erinnerungen zu wecken. Deine Mutter war wunderbar, ein netter, liebevoller Mensch, der mir wirklich geholfen hat, als ich Hilfe brauchte.«
Ein weiterer Schmerzensschrei wollte sich Bahn brechen, doch Conner unterdrückte ihn. Isabeau war so jung und unerfahren, und dennoch so tapfer, dass ihm vor lauter Liebe die Brust eng wurde und das Herz schmerzte. Wie hatte er es nur so vermasseln können? Wieso hatte er alles falsch gemacht? In dem Augenblick, in dem ihm klargeworden war, dass er der Situation nicht mehr gewachsen war, hätte er mit ihr reden sollen. Schließlich war er sogar das Risiko eingegangen, das Gespräch mit ihrem Vater zu suchen. Besser, er hätte sich an sie gewandt. Er hätte ihr so weit vertrauen müssen, ihr die gleiche Chance einzuräumen wie ihrem Vater. Auf den Gedanken war er gar nicht gekommen. Und er wusste, dass Marisa ihn gefragt hätte, warum nicht. Sie
glaubte an die Kraft des Wortes. Als Intellektuelle war sie der Ansicht gewesen, dass Probleme durch Reden gelöst werden sollten.
Isabeau machte einen vorsichtigen Schritt vorwärts. »Ich schwöre dir, Conner, ich würde deine Mutter nicht benutzen, um mich in irgendeiner Weise an dir zu rächen. Ja, ich war wütend über das, was du getan hast, aber mittlerweile habe
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