Wildes Blut
Lucero. Noch immer nannte sie ihn bei diesem Namen.
Was sollte sie tun? Sie kannte seinen richtigen Namen nicht und wollte ihn nicht wissen, denn dann würde sie die dunkle Leidenschaft offen eingestehen, die noch ihr Geheimnis war.
Wohin war er in dieser Nacht gegangen? Als er ins Zimmer kam, war er still gewesen, beinahe schlecht gelaunt. Er hatte versichert, dass dies nur an der angespannten politischen Situation lag, über die die Männer nach dem Abendessen gesprochen hatten. Doch Mercedes glaubte, dass die Wahrheit wesentlich komplizierter war.
Nachdem sie sich entkleidet hatten und unter die luxuriösen Satindecken geschlüpft waren, hatte er sie wieder mit ausgesuchter Zärtlichkeit geliebt. Sie konnte sich nicht mehr vorstellen, jemals wieder eine Nacht allein zu verbringen, ohne dass er sie in seinen Armen hielt, ohne dass seine Wärme und seine Kraft sie umfingen. Deshalb wachte sie auf, als er sie verließ.
Mercedes, nur mit Hemd und Neglige bekleidet, war ihm nachgegangen und hatte verwundert beobachtet, dass er Don Mariano folgte. Ein paar Augenblicke später war der Sohn ihres Gastgebers davon geritten, und Lucero ebenfalls. Sie konnte nichts tun, daher schlich sie auf Zehenspitzen durch das dunkle, stille Haus zurück ins Bett. Ihre Schwangerschaft ermüdete sie, und sie nickte wieder ein, nur um wenig später zu erwachen und festzustellen, dass sie noch immer allein war.
Stunden vergingen. Mercedes gab es auf, an die Decke zu starren, und warf ärgerlich die Bettücher beiseite. Genug! Sie konnte nicht untätig daliegen, wenn er unterwegs war, um Gott weiß was zu tun. Sie nahm ein dunkles Tageskleid aus dem Schrank und begann, sich anzukleiden. Wenn jemand sie dabei ertappte, wie sie durchs Haus wanderte, wollte sie zumindest anständig gekleidet sein.
Nicholas folgte Mariano zurück zum Haus, begierig zu sehen, was Vargas mit den Papieren tun würde, die er erhalten hatte.
Mariano deponierte sie in einem Geheimfach des reichverzierten Schreibtisches im Arbeitszimmer seines Vaters. Dann schenkte er sich ein Glas Brandy ein, löschte das Licht und begab sich zu Bett. Innerhalb eines Augenblicks war Fortune im Arbeitszimmer und öffnete mit seinem Federmesser das Schloss an dem verborgenen Fach.
Er breitete die Papiere vor sich aus und studierte sie sorgfältig. Unglaublich! Auf einer Seite waren die Truppenbewegungen verschiedener Streitkräfte der Juaristas notiert, zusammen mit Anmerkungen über ihre voraussichtliche Aufstellung und die besten Angriffsmöglichkeiten. An anderer Stelle wurde ein für die Rebellen bestimmter wichtiger Transport mit amerikanischen Waffen beschrieben, der nächsten Monat über die Grenze nach Chihuahua gebracht werden sollte.
Allem Anschein nach war es Aufgabe der Vargas', sie zu rauben.
Nicholas war so sehr damit beschäftigt, sich alles Wichtige zu merken, dass er nicht hörte, wie jemand leise die Tür öffnete und wieder schloß. Dann fühlte er auf einmal, dass etwas nicht stimmte.
"Ist die Arbeit meines Sohnes ein interessanter Lesestoff, Don Lucero?" Don Encarnacions tiefe Stimme hallte wider in dem stillen Raum.
20. KAPITEL
Nicholas ließ die Papiere auf den Tisch fallen und verfluchte sich für seine Sorglosigkeit. Seine Remington steckte an seiner Hüfte. Wenn er hinter dem Schreibtisch sitzen blieb...
"Bitte, haben Sie die Freundlichkeit aufzustehen und die Waffen wegzulegen", befahl Vargas knapp und machte damit Fortunes Hoffnungen zunichte.
Langsam erhob sich Nicholas und blickte dem gefährlich aussehenden alten Mann ins Gesicht. Der sah mitleidlos zu, wie er seine Waffe aus dem Halfter zog und sie auf den Boden warf.
"Es ist interessant, in der Tat. Wann wollen Marianos Männer Juarez töten - wenn er nach El Paso unterwegs ist oder nach seiner Ankunft in Chihuahua?"
Encarnacion lachte leise. Es klang kalt und freudlos. "Nun, da unsere Aktivitäten nicht mehr geheim sind, wird die Tat wohl aufgeschoben werden, bis wir mit Sicherheit sagen können, wie viel die Rebellen wissen."
"Über den Spion in ihren Reihen?" fragte Fortune, schob die Papiere zu einem ordentlichen Stapel zusammen und verstaute sie wieder in ihrem Versteck. Irgendwie musste er mit Vargas fertig werden und unentdeckt entkommen, ehe jemand erfuhr, dass er die Verschwörung aufgedeckt hatte.
Der alte Don zog die silberfarbenen Brauen hoch. "Also wissen Sie auch über Emilio Bescheid."
"Die Amerikaner sind sehr daran interessiert, dass Juarez am Leben bleibt. Sie
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