Wildes Blut
mit seinen Lippen, und was als zärtlicher Kuss begonnen hatte, entfachte nun ihre Leidenschaft. Sie öffnete sich für ihn, begegnete seiner Zunge, grub ihre Finger in sein Haar, zog ihn näher an sich heran, ganz nahe.
Mariano Vargas schloß die Tür zum Arbeitszimmer seines Vaters und lauschte auf die Stille. Endlich war er allein. Er starrte hinunter zu dem blutverschmierten Fleck auf dem Boden, wo der Leichnam seines Vaters gelegen hatte, und überlegte, was zu tun war. Hatte der alte Mann einen Dieb aufgestört, wie jeder vermutete? Oder gab es einen anderen Grund für seinen Tod?
Er durchquerte den Raum, ging um den schweren hölzernen Schreibtisch herum und öffnete das Geheimfach. Die Papiere lagen sorgfältig gestapelt in der kleinen Schublade, wie er sie dort hingelegt hatte - oder doch nicht? Er nahm sie vorsichtig heraus und sah sie auf ihre Reihenfolge hin durch. Dann war er sicher, dass jemand zwei der Blätter vertauscht hatte.
Mit einem leisen Fluch legte er die Papiere zurück und schloß die Lade. Wer könnte der Spion gewesen sein? Ein Dienstbote?
Höchst unwahrscheinlich, denn sie alle waren seit ihrer Geburt im Hause Vargas. Mariano war ihrer Treue gewiss. Nein, der Eindringling, der seinen Vater getötet hatte, musste einer der Gäste sein. Rasch ging er im Geiste alle Besucher durch, wobei er sowohl Don Encarnacions alte Freunde als auch seine eigenen wegließ. Dann hielt er inne. Er dachte an den jungen Alvarado-Erben, der von Scheeling mit so professionellem Gleichmut umgebracht hatte.
Mariano rieb sich nachdenklich das Kinn. Es war schwer zu glauben, dass der Erbe des alten Don Amselmo ein dreckiger Juarista sein sollte, aber ein anderer kam kaum dafür in Frage.
Er schenkte sich ein Glas feinen französischen Brandys ein und setzte sich auf den Stuhl seines Vaters.
"Nein, jetzt ist es mein Stuhl", murmelte er, nippte an seinem Glas und ließ die Flüssigkeit um seine Zunge spielen. Es war Zeit, einen Plan zu fassen, was mit Alvarado geschehen sollte.
Bis zum späten Morgen hatte sich die Nachricht vom tragischen Tod Don Encarnacions auf der Hazienda verbreitet.
Die Fiesta endete abrupt, und die Gäste reisten ab, um Don Mariano und Dona Ursula mit ihrer Trauer allein zu lassen.
Als sie nach Gran Sangre ritten, bemerkte Nicholas zu Mercedes: "Don Encarnacions einziger Erbe wirkt nicht allzu betroffen. Nichts im Leben scheint Mariano wirklich zu berühren."
Mercedes schauderte, als sie an die schreckliche Szene im Arbeitszimmer des alten Mannes dachte. Ich habe meine Seele für ihn geopfert, und ich kenne noch nicht einmal seinen Namen!
Sie drängte das Entsetzliche zurück und dachte wieder an Don Mariano und seine Gemahlin. "Du hast recht, was Mariano betrifft. Ich habe noch nie einen Mann gesehen, der so ...", sie suchte nach dem richtigen Wort, "so gefühllos ist."
"So ganz anders als sein Vater", bemerkte Nicholas und dachte an Don Encarnacions legendären Zorn.
"Nun, seine Gemahlin zeigt dafür genug Gefühle, und keine schicklichen. Sie war offensichtlich sehr verärgert, dass ihr großes Fest kurzfristig abgebrochen werden musste."
Nicholas lachte leise. "Denk dir nur, sie wird ein ganzes Jahr lang schwarze Kleider tragen müssen."
Endlich nahm Mercedes ihren Mut zusammen und fragte:
"Was wirst du mit den Informationen tun, die du erhalten hast?"
Er sah sie nicht an, sondern starrte zum Horizont. "Ein Agent des Präsidenten wartet an vereinbarter Stelle auf Gran Sangre.
Ich werde ihm berichten, was ich weiß." Er sah sie an und versuchte, in ihrem Gesicht zu lesen, als er hinzufügte: "Ich habe den Mann gesehen, der Juarez an die Verschwörer verriet."
"Tu, was du tun musst, ich kann dich nicht daran hindern."
"Nein, das kannst du nic ht - nur, wenn du meinen Tod wünschst", entgegnete er tonlos. Was sollte er sonst noch sagen?
Sie hielt sein Leben in ihren kleinen Händen, aber noch kostbarer war ihre gemeinsame Zukunft zusammen mit dem Kind, das sie gezeugt hatten. Sollte alles nur ein Traum gewesen sein? Nicholas fürchtete und hoffte gleichzeitig.
Am nächsten Tag, als sie Gran Sangre erreichten, sah Nicholas, dass Angelina Mercedes nach dem langen Ritt unter ihre Fittichen genommen hatte. Obwohl ihr morgendliches Unwohlsein verschwunden war und sie wie das blühende Leben aussah, hatte er Angst um die zarte Frau, die sein Kind erwartete. Zwar hatten sie unterwegs nebeneinander geschlafen, unter den Decken eng aneinandergeschmiegt, doch sie war nach Don
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