Wildes Blut
Lucero. Er saß an der gegenüberliegenden Wand und starrte Nick aus verschleierten Augen an.
"Ich bin drei Ta ge lang nicht aus dem Sattel gekommen, während wir der Gruppe folgten, mit der wir gestern aneinandergeraten sind. Nachts habe ich auch die Wache übernommen", sagte er, warf die Decke zurück und setzte sich auf. Alvarado beobachtete jede seiner Bewegungen, und Fortune war sicher, dass der Mann ihn schon eine Weile angesehen hatte, während er noch schlief. Er fühlte sich unbehaglich bei diesem Gedanken, doch er konnte nicht anders, als den prüfenden Blick zu erwidern.
"Wir haben beide die gleichen Augen. Der einzige Mann, der auch solche Augen hat, ist mein Vater", sagte Lucero. "Don Anselmo Mateo Maria Alvarado - und Ihr Vater?"
"In diesem Punkt sind Sie mir voraus. Ich habe nicht die leiseste Ahnung, wer mein Vater war", gab Nick zurück. Er erhob sich, ging zum Eingang der Höhle und suchte den Weg, der sich zu ihren Füßen wand, nach Reitern ab.
Er rollte eine Zigarette, zündete sie an und sog den Rauch tief ein, als Alvarado fragte: "Hatte Ihre Mutter auch diese Augen?"
Fortune lachte, aber es war ein freudloses Lachen, "Nein, sie hatte blaue Augen. Was sollen diese Fragen?" wollte er wissen, obwohl er ahnte, welche Absicht Alvarado verfolgte.
"Ihre Mutter - wer war sie?"
"Sie sind ein Bastard", sagte Nick mit gespielter Freundlichkeit.
Lucero grinste mit dem ihm eigenen typisch spanischen Charme und erwiderte leichthin: "Nicht ich bin der Bastard, jedenfalls nicht, wenn man es genau nimmt."
Nick kniff nach dieser Beleidigung die Augen zusammen, aber dann erkannte er, dass er diese Bemerkung provoziert hatte, und zuckte die Schultern. "Ich habe schon Männer erschossen, weil sie mich einen Bastard genannt hatten."
"Meine liebe Mutter hält meinen Vater und mich noch für weitaus Schlimmeres."
Fortune lächelte. "Tatsächlich?"
Lucero warf den Kopf zurück und lachte, auf genau dieselbe Weise, wie auch Nicholas Fortune es tat, wenn ihm etwas auf einmal sehr komisch erschien. Dann sahen sie einander an. Das helle Morgenlicht machte ihre erstaunliche Ähnlichkeit nur noch deutlicher.
"Du bist ein wenig größer, und dann is t da noch diese Narbe auf deiner Wange", sagte Alvarado, als er die feine weiße Linie bemerkte, die genau unterhalb Nicks linkem Wangenknochen verlief. Tatsächlich ein kleiner Makel auf diesem perfekten Gesicht.
"Ein Säbelhieb, den ich in Sebastopol einstecken musste. Ich habe mir von Frauen sagen lassen, dass sie meinem Charme nur zuträglich ist. Ich trage noch mehr Narben, überall am Körper, und einige davon sind nicht so gut verheilt. Es kam immer darauf an, welcher Chirurg gerade in der Nähe war."
"Du kannst nicht viel älter sein als ich."
"Ich bin neunundzwanzig."
"Und du bist immer Soldat gewesen?" Lucero war fasziniert.
"Ich habe früh gelernt, wie man kämpft. Ein Überlebenstraining aus den Elendsvierteln von New Orleans."
"Erzähl mir von deiner Mutter."
"Da gibt es nicht viel zu erzählen. Sie war eine Hure und hat in einem der besten Häuser der Stadt gearbeitet - jedenfalls, bis sie ihre Schönheit verlor und ein bisschen zu oft zur Flasche griff."
"Mein Vater hatte einen Cousin in New Orleans. Soweit ich weiß, hat er ihn gelegentlich besucht, ehe ich geboren wurde."
Alvarado sah Fortune nachdenklich an. "War deine Mutter sehr schön?"
"Wie ich schon sagte, bis die Zeit und der Branntwein ihre Spuren hinterließen", entgegnete Nick zynisch und wandte Lucero den Rücken zu. Mein Bruder.
"Interessierst du dich nicht für deinen Vater? Er lebt noch, weißt du."
"Warum sollte er mich interessieren? Er hat nie von meiner Existenz erfahren, und es wäre ihm auch gleichgültig gewesen.
Für einen reichen Mann wie ihn bin ich nichts weiter als ein Bastard."
"Er hat nur einen Erben. Vielleicht wäre ein weiterer Sprössling ihm gar nicht so unwillkommen, wer weiß?" meinte Alvarado hochmütig.
"Ich will ihn genauso wenig sehen, wie er mich sehen wollte."
"Du siehst ihm sehr ähnlich - bis hin zu dem harten Zug um den Mund", spottete Lucero.
Nick stieß einen wüsten Fluch aus und trat seine Zigarette aus. "Es ist mir verdammt egal, ob sie uns aus derselben Form gegossen und diese danach zerbrochen haben. Du bist der Erbe, reicher Junge. Lass es dabei bewenden."
Sein Wutausbruch wurde von dem Geräusch herannahender Hufe unterbrochen. Sofort warfen sich beide Männer zu Boden und griffen nach ihren Waffen, während sie den Felsen
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