Wildes Blut
große Felsbrocken natürlich geschützt war. Jeder war gedämpfter Stimmung, als sie ihr Lager bereiteten. Die Leichen, die auf die Pferde gebunden waren, zeugten davon, wie nahe sie alle an diesem Nachmittag dem Tode gewesen waren.
Mercedes suchte in ihren Satteltaschen nach dem kleinen Beutel mit Medikamenten, die sie für den Notfall auf Reisen stets mit sich führte. Als sie sich nach Lucero umsah, entdeckte sie ihn nirgends in der Nähe des Lagerfeuers. Sie ging dem Gurgeln der Mineralquellen nach und fand ihn auf einem Felsen sitzend am Rande des Wassers. Das helle Mondlicht spiegelte sich auf seinem bloßen Oberkörper, als er das getrocknete Blut von seiner Haut wusch.
"Lass mich das tun", sagte sie, trat näher und nahm die Kompresse, die er auf einen besonders schlimmen Schnitt an der rechten Schulter gelegt hatte.
Er sah zu ihr auf, einen Augenblick lang erstaunt, ehe die vertrauten Zeichen von Spott und Arroganz sich wieder auf seinem Gesicht zeigten. "Ich glaubte, dass du dich nach den Ereignissen dieses Nachmittags von mir fernhalten würdest."
"Ich sagte, dass deine Wunden versorgt werden müssen." Mit ruhigen Bewegungen spülte sie das Tuch aus und legte es wieder auf seine Schulter. Sie fühlte die Wärme seines Körpers und das Spiel der Muskeln unter der Haut.
"Immer die pflichtbewusste Ehefrau, meine Liebste", flüsterte er. Sein ganzer Körper brannte vor Verlangen nach ihr, aber er wagte nicht, sie zu berühren, seine Gemahlin mit dem offenen Haar, das im Mondlicht wie ein silberner Schleier um ihre Schultern fiel. Er wollte seine Finger in dieses Haar wühlen und sie an sich pressen, ihren süßen weiblichen Duft in sich aufsaugen und ganz in den samtweichen Tiefen ihres Körpers versinken, gleich hier, gleich jetzt. Im Schlamm.
Er sah hinunter zu seinen blutverschmierten schmutzigen Hosen und Stiefeln, dachte an das, was er war, was sie war, und dass er eine Frau wie sie nicht verdiente. Er hatte versucht sich einzureden, dass er sie mehr verdiente als sein Bruder, dass Lucero sich nichts aus ihr machte und sie schlecht behandelt hatte. Aber ich bin nicht besser als er. Auch ich bin ein Mörder.
Sie fühlte seine Anspannung. Tiefe Linien hatten sich in sein Gesicht gegraben. Seine Hand begann zu zittern. "Hast du Schmerzen?" Warum hatte sie das gefragt?
Er lachte spöttisch. "Nicht so, wie du es dir vorstellst", gab er finster zurück und nahm ihr das Tuch ab. "Die Schnitte sind nicht tief. Das Wasser hat heilende Kräfte. Es geht mir gut." Er machte Anstalten, sich zu erheben.
"Ich habe Salbe und ein sauberes Hemd", bot sie rasch an. Zu rasch.
Er musterte sie verwundert, dann streckte er den Arm aus und berührte ihre Wange mit den Fingerspitzen. "Du warst heute sehr tapfer."
"Ich habe mich zu Tode geängstigt."
"Das hast du sehr gut versteckt."
"Du auch." Sie sah zu dem Messer und blickte ihm dann wieder ins Gesicht. Sie hatte das Salbenfläschchen gerade geöffnet, als ihr etwas einfiel. "Du hast mit der linken Hand gekämpft."
Nicholas wusste, dass auch Hilario dies bemerkt hatte. Er hatte gehofft, dass es ihr entgangen wäre, aber er hätte es besser wissen müssen. Er zuckte die Schultern. "Vor ein paar Jahren bin ich vom Pferd gefallen und habe mir den rechten Arm gebrochen. Ich musste lernen, den linken zu benutzen." Eine glatte Antwort. Er hoffte, dass es auch eine vernünftige war.
Der Krieg hat uns alle so sehr verändert, dachte sie. Ihr Gatte hatte an weit entfernten Orten so vieles erlebt, war den ganzen Weg bis Mexico City gereist und sogar bei Hofe vorgestellt worden. Als er dies in seinen Briefen an Don Anselmo schilderte, war sie neidisch gewesen, aber das schien nun so lange her zu sein. Mercedes war nicht ganz sicher, warum ihr diese Dinge wichtig waren. "Hast du damals auch Englisch gelernt?"
"Ich fand heraus, dass ich viele Talente besaß, von denen ich gar nichts geahnt hatte."
Mercedes betrachtete ihn im Mondschein. Ihre Kehle war trocken. Sie schluckte und benetzte ihre Lippen und fragte sich, was sie antworten sollte. Sie hatte gesehen, wie er mit solcher Kaltblütigkeit getötet hatte, dass es sie entsetzte, und doch zog dieser rätselhafte Mann, den der Krieg so sehr verändert hatte, sie an. Sie hatte genug Salbe aufgetragen und reichte ihm das Hemd. Er stand auf und schlüpfte hinein, dann zog er sie an seine Seite. Wortlos gingen sie zurück zum flackernden Lagerfeuer.
7. KAPITEL
Als sie durch das breite, fruchtbare Tal des Sonora-Flusses
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