Wildes Blut
das ebenfalls tun. "Es ist dieses seltsame englische Blut, das sie schwächt", murmelte Sofia vor sich hin, ohne auf das Dienstmädchen zu achten, als wäre dieses nicht mehr als ein Möbelstück.
Sie beobachtete, wie der Patron und seine Gemahlin durch das Tor ritten. Er hielt tatsächlich das schlafende Mädche n auf seinen Armen!
"Welch bemerkenswerte Zärtlichkeit er für das Kind zu entwickeln scheint. Natürlich völlig unangebracht, aber vielleicht ist es auch ein gutes Vorzeichen", sagte Pater Salvador, der hinter Dona Sofia getreten war.
Die alte Frau kniff die Augen zusammen, als sie die Szene, die sich vor ihrem Fenster abspielte, tief in sich aufnahm und sich wünschte, dass ihre Sicht nicht von Alter und Krankheit beeinträchtigt wäre. "Es ist ein Skandal. Welche Schande er über unser Haus bringt!"
Der Priester seufzte. "Ist es nicht immer so gewesen?
Immerhin hat er ein Dutzend neuer Vaqueros mitgebracht, die auf dem Land arbeiten können. Eines Tages wird er aus Gran Sangre vielleicht wieder die große Hazienda machen, die es in der Vergangenheit war. Der Krie g ist offensichtlich ein besserer Lehrmeister, als ich es jemals war."
Nachdenklich sah der Priester zu, wie der junge Patron das schlafende Kind in die Arme seiner Frau legte, dann stieg er ab und reichte die Zügel der beiden Pferde einem der Vaqueros. Er nahm Mercedes seine Tochter ab, und gemeinsam gingen sie ins Haus. "Gottes Plan ist für uns zuweilen unverständlich, Senora.
Dieses Kind ist vielleicht das Mittel, mit dem er Ihren Sohn und seine Gemahlin zusammenbringt, wie es sich für eine Ehe, die vor der heiligen Kirche geschlossen wurde, gehört."
"Ich werde dafür beten, Pater", murmelte sie leise. Dann entließ sie ihn und winkte auch dem Dienstmädchen, sie allein zu lassen. Sie starrte aus dem Fenster, ohne etwas zu sehen, während sie auf den Klang der Schritte in der Halle lauschte. Sie wusste, sie würden es nicht wagen, in die Nähe ihrer Gemächer zu kommen.
Ein Fingerzeit Gottes, in der Tat! Verächtlich verzog sie die Lippen. Lucero hatte Kinder nie gemocht, genauso wenig wie Anselmo, der ihr an dem Tag, als sein Sohn geboren wurde, unmissverständlich klargemacht hatte, dass sie ihn mit dem Jungen nicht behelligen sollte, bis er alt genug war, den fleischlichen Vergnügungen zugeführt zu werden. Und Anselmo hatte sein Wort gehalten. An Luceros vierzehntem Geburtstag hatte er den Jungen den ganzen weiten Weg nach Durango mitgenommen, in eines der teuersten Bordelle der Stadt, damit aus ihm ein Mann wurde.
Wie sie die beiden gehasst hatte, als sie allein in ihrem Krankenbett lag, während sie sich mit den Huren vergnügten.
Aber jetzt war Lucero zurückgekehrt, allem Anschein nach vollkommen verändert - ein Mann, der Gran Sangre liebte und sich um seine Ehefrau und sogar sein illegitimes Kind kümmerte. Konnte es sein ...? Nein, Pater Salvador und Mercedes würden das bestimmt wissen. Oder nicht? In den vielen Jahren ihrer Krankheit war Dona Sofia zu der Erkenntnis gelangt, dass die Menschen sahen, was sie zu sehen erwarteten oder sehen wollten ...
Ein flüchtiges Lächeln huschte über ihr Gesicht und kontrastierte mit den tiefen Augenhöhlen und der trockenen Haut, die sich über ihren Wangenknochen spannte. Es war ein grässliches Lächeln, und ein bösartiges. "Welche Ironie ... Ich muss es ihm sagen ... bevor ich sterbe."
"Wir müssen uns überlegen, wo du schlafen sollst, Kleines.
Wie gefällt dir dein neues Zuhause bisher?" fragte Nicholas, als Rosario die üppige Ausstattung der sala bestaunte. Er setzte das gähnende Kind ab und sah die Kleine lächelnd an.
"Das Haus ist für ein kleines Mädchen, das es zum erstenmal sieht, beängstigend", meinte Mercedes. "Ich muss es wissen, denn als ich es zum erstenmal sah, hat es mich erschreckt. "
"Hast du auch in einem Konvent gelebt?" fragte Rosario und klammerte sich an die Röcke der blonden Senora.
"Ja", entgegnete sie und sah Lucero an, der nichts dazu sagte.
Ob er sich wohl erinnerte, wie ehrfürchtig sie Gran Sangre als Braut betrachtet hatte?
Je länger sie sich in dem prächtigen Raum umsah, desto größer wurden Rosarios Augen. Die Wände waren weiß verputzt und leuchteten wie fr isch gefallener Schnee. Massive Eichenbalken verliefen unter der Decke, die so hoch wie der Himmel zu sein schien. Die wunderschön geschnitzten Möbel waren mit Zitronenöl eingerieben und glänzten. Ohne auf die beiden Erwachsenen zu achten, schritt sie auf
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