Wildes Herz
hinauf, dann sind wir schon da. Du darfst jetzt nicht schlappmachen, hörst du? Mein Gott, du hast doch schon viel Schlimmeres durchgestanden. Komm, beiß die Zähne zusammen, wir haben es gleich geschafft.« Seine Stimme bekam etwas Flehendes, doch Éanna nahm es gar nicht mehr richtig wahr.
Bei dem Unterstand, zu dem Brendan Éanna mehr trug als führte, handelte es sich um einen halb offenen Wetterschutz für Schafe oder Rinder. Er schmiegte sich am Waldrand in eine Lücke zwischen den vorderen Baumreihen und war groß genug, um einer Herde von mehreren Dutzend Schafen Unterschlupf vor Wind und Wetter zu bieten.
»Du musst die nassen Sachen ausziehen!«, forderte Brendan sie auf, sowie sie den Unterstand erreicht hatten. »Tut mir leid, aber ich kann dir das nicht ersparen. Wir müssen sie am Feuer trocknen, sonst holst du dir den Tod!«
»Alles?«, stieß sie zitternd hervor.
»Ja, alles! Nun mach schon! Jetzt ist nicht die Zeit, sich zu zieren. Und dann wickelst du dich in meinen Mantel, bis deine Sachen wieder trocken sind! Beeil dich!«, drängte er sie. Er zerrte seinen Umhang von den Schultern und legte ihn für sie auf dem Boden bereit. »Ich hole inzwischen Holz und mache ein Feuer!«
Éanna wusste, dass Brendan recht hatte. Sie musste unbedingt ihre durchnässte Kleidung vom Körper bekommen, doch ihre Finger waren fast taub vor Kälte. Sie hatte Mühe, das Zittern so weit unter Kontrolle zu bringen, damit sie die Knöpfe ihres Kleides öffnen und sich die klatschnassen Sachen vom Leib zerren konnte. Endlich hatte sie es geschafft. Sie wickelte sich in Brendans Mantel und sank erschöpft in sich zusammen.
Brendan hatte indessen mehrere Arme voll Unterholz im Wald zusammengetragen und zum Unterstand gebracht. Nun riss er einige Fäden aus dem Ende seines Schals, presste sie zu einem kleinen, aber nicht allzu dichten Ball zusammen, holte Feuerstein und Schlagstahl aus dem Beutel und setzte die Stofffäden in Brand. Sowie die ersten Flammen aufzüngelten, nährte er sie mit kleinen Zweigen. Nach und nach wurde das Feuer kräftiger, sodass er es wagen konnte, dicke Äste aufzuschichten.
»Setz dich so nahe wie möglich an das Feuer!«, trug er ihr auf. »Ich bin gleich wieder zurück. Ich hole nur noch mehr Holz aus dem Wald.«
Im Laufe der nächsten Stunde schleppte er einen wahren Berg von Zweigen und Unterholz aus dem Wald heran. Er brach auch mehrere größere Äste von den Bäumen, die er auf der anderen Seite des Feuers aufstellte und ineinander verschränkte, damit sie nicht umfielen. Darüber hing er Éannas nasse Kleider. Doch es würde lange dauern, bis ihr Kleid und vor allem der dicke Wollumhang wieder trocken waren.
»Warum . . .. habe ich das. . .. bloß nicht gesehen, dass da . . . ein Teich war«, stammelte Éanna vor Kälte. Das Zittern wollte einfach nicht aufhören. So hoch das Feuer auch aufloderte, vermochte es sie doch nur von einer Seite zu wärmen. Während ihr vorn die Hitze fast die Hände versengte, kroch ihr hinten die Kälte den Rücken hoch. »Jetzt habe ich . . . uns um die Suppe in Donard . . . und dich um deinen Mantel gebracht!«
»Red doch nicht! Du hast dir nichts vorzuwerfen«, sagte er energisch. »Ich habe doch auch nichts gesehen. Wie denn auch? Bei dem Schneetreiben!«
Éanna nickte mit Tränen in den Augen und bemühte sich verzweifelt, die Lippen zusammenzupressen, damit ihre Zähne nicht allzu laut klapperten.
Brendan warf ihr einen Blick zu und erhob sich. Er legte reichlich Holz nach und kauerte sich dann neben sie auf den Boden.
»Éanna, hör mir zu«, sagte er eindringlich. »Wenn du dich mit dem Umhang zudeckst, wärme ich dich von hinten. Das wird dir bestimmt helfen.«
Éanna dachte nicht daran, dass sie unter dem Umhang nackt war. Sie zog den Mantel nach vorn und deckte sich damit zu. Im nächsten Moment spürte sie, wie Brendan sich dicht an sie schmiegte. Seine Hände legten sich von hinten fest um ihren Oberkörper.
»Du wirst sehen, es wird alles wieder gut«, versicherte er und strich beruhigend über ihre Hände. »Bald werden deine Sachen wieder trocken sein. Und ich werde auch dafür sorgen, dass das Feuer nicht ausgeht. Morgen lachen wir über das Ganze und machen uns auf den Weg nach Dublin.«
Doch Brendan irrte.
Schon in der Nacht überfiel Éanna Schüttelfrost, obwohl sie längst wieder ihre mühsam getrockneten Kleider trug und sich mit Brendan so nahe wie möglich am Feuer eingerollt hatte. Am Morgen hatte sie
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