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Wildes Herz

Wildes Herz

Titel: Wildes Herz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Leonie Britt Harper
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Wohnhaus. Mit seinen vier Stockwerken und dem spitzen Giebeldach überragte er die beiden anderen Arbeitshäuser um einiges. Ein niedriger Zwischentrakt verband den hoch aufragenden Wohnkomplex mit dem hinteren, nur zweistöckigen Arbeitshaus, sodass diese drei Gebäudeteile zusammen ein H als Grundriss bildeten.
    Acht große Höfe, von denen vier Platz für jeweils mehrere Hundert Menschen boten und die wie ausbruchssichere Gefängnishöfe von hohen Mauern umschlossen wurden, lagen zwischen den einzelnen Gebäuden.
    Ein hohes, doppelflügeliges Tor aus schweren, mit Eisenbändern beschlagenen Balken sowie eine nicht weniger massive Seitentür zu seiner Rechten führten durch das kleinste der drei Gebäude, das gedrungene Pfortenhaus, in die Anstalt.
    Brendan traf mit Éanna keine halbe Stunde vor Einbruch der Dunkelheit vor dem Tor vom Clifton Workhouse ein. Er war am Ende seiner Kräfte. Der Schweiß lief ihm über das Gesicht, und mit rasselnden Lungen rang er nach Atem.
    Den Leiterwagen mit Éanna durch den hohen Schnee zu ziehen, hatte ihm alles an Kraft abverlangt.
    Die letzte halbe Meile war die schlimmste gewesen. Er hatte nicht riskieren können, den gestohlenen Leiterwagen über die Landstraße zu ziehen, und so hatten sie die restliche Strecke notgedrungen zu Fuß zurücklegen müssen. Brendan hatte Éanna mehr tragen als nur stützen müssen.
    »Mir ist so elend zumute, dass du dich wegen mir so hast abkämpfen müssen«, murmelte Éanna, als sie sich mit ihm auf das Tor des Arbeitshauses zuschleppte. In ihrer fiebrigen Benommenheit und Schwäche hatte sie sogar mit seiner Hilfe Mühe, sich auf den Beinen zu halten. Immer wieder fielen ihr die Augen zu. Sie nahm alles um sich herum wie durch einen Schleier wahr.
    »Ach, Éanna! Was redest du denn da?«
    »Ich wünschte . . . du hättest es nicht getan. Meine Mutter . . . hat immer gesagt, . . . dass es . . . dass es keinen tieferen Abstieg und . . . und kein entsetzlicheres Elend gibt als das Arbeitshaus.« Ihre Stimme war kaum mehr als ein Lallen.
    »Doch, es gibt sehr wohl ein noch viel schlimmeres Elend«, erwiderte Brendan und strich ihr mit der freien Hand über das Gesicht. »Dich hier draußen in der Kälte zu verlieren! Das ist das größte und schlimmste Elend, das ich mir vorstellen kann. So, jetzt haben wir es gleich geschafft!«
    Sie waren nicht die Einzigen, die vor dem Tor um Einlass bettelten. Dutzende Elendsgestalten belagerten das Tor, nicht wenige davon, die ihren Tod nahen fühlten und sich zumindest ein Armenbegräbnis hinter den Mauern erhofften.
    Das große doppelflügelige Portal war geschlossen. Nur die schmale Seitentür stand offen. Eine bullige Gestalt mit einem breiten rabenschwarzen Backenbart wachte über das Tor. Wie Brendan den verzweifelten Zurufen aus der Menge entnehmen konnte, handelt es sich bei diesem Mann um Dudley Boyle, den Leiter vom Clifton Workhouse .
    »Herrgott, bist du taub, Weib? Du kommst hier nicht rein! Da kannst du betteln und jammern, wie du willst! Und nimm sofort deine Hände von meinen Stiefeln, wenn du nicht meinen Prügel zu spüren bekommen willst!«, hörte Brendan, wie der Anstaltsleiter eine Frau anbrüllte. »Ich habe keinen Platz für Leute, die in meinem Haus nur sterben wollen und auf einen eigenen Sarg hoffen! Den gibt es auch bei uns schon längst nicht mehr, der Herr ist mein Zeuge!«
    Nun hob Dudley Boyle den Kopf und rief in die Menge: »Für fünf, sechs ist heute noch Platz! Der Rest soll es morgen früh wieder versuchen!«
    Brendan keuchte auf und verstärkte seinen Griff um Éanna. Sie taumelte, als er sie mit aller Macht vorwärtsschob. Doch Brendan ließ sich nicht beirren. Wenn die Tür zufiel, ohne dass zumindest Éanna im Arbeitshaus Aufnahme gefunden hatte, bedeutete das unweigerlich ihren Tod. Er musste unbedingt einen der letzten Plätze für sie ergattern!
    Rücksichtslos bahnte er sich einen Weg durch die Menge. Dabei schreckte er auch nicht davor zurück, Stöße und Tritte auszuteilen. Auch wenn er Éanna den ganzen Weg hierhergeschleppt hatte, so befand er sich in einer erheblich besseren körperlichen Verfassung als der Großteil der anderen, die sich vor ihm am Tor drängte. Und diesen Vorteil nutzte er ohne Gewissensbisse aus. Es ging um Éannas Leben, und er hatte nicht vor, kurz vor dem Ziel aufzugeben!
    Dudley Boyle hatte gerade den vierten freien Platz vergeben, als Brendan sich endlich mit Éanna an die Seitenpforte durchgedrängt hatte.
    Dem Anstaltsleiter war

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