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Wildes Herz

Wildes Herz

Titel: Wildes Herz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Leonie Britt Harper
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bekommen, und die wenigsten davon waren so gnädig verhüllt wie diese fünf.
    Éanna wusste nicht, was die anderen dachten, aber bei ihr war es eine ganz eigenartige Mischung aus Mitleid, aus Trauer um ihre verstorbene Familie und aus Dankbarkeit, dass es mit ihr nicht so weit gekommen war – und aus dem stummen Bittgebet, dass sie und Brendan diesem Schicksal auch in Zukunft noch lange entkommen mochten.
    »Machen wir uns an die Arbeit«, brach Caitlin das Schweigen. »Es gibt einiges zu tun!«
    Ohne groß miteinander zu reden, begannen sie damit, Säcke von dem hohen Stapel auf der linken Seite zu nehmen und mit doppelten Knoten aneinanderzubinden. Sie achteten darauf, dass sie die Knoten nicht zu nahe an den Enden der Jutebahnen anbrachten. Lieber nahmen sie es in Kauf, fast dreimal so viele Säcke für das Seil miteinander verknoten zu müssen wie gedacht. Danach machten sie sich hastig daran, aus weiteren Säcken grobe Umhänge zusammenzuflicken. Diese Arbeit nahm erheblich mehr Zeit in Anspruch, als sie gedacht hatten. Vier aufgerissene Säcke waren nötig, um daraus einen Mantel zu fertigen, der ihnen bis auf die Füße fiel.
    »Seid ihr bereit?«, wisperte Éanna endlich und stopfte ihren Flickenmantel in einen der letzten Säcke. »Dann müssen wir uns nur noch unserem Seil anvertrauen und in die Freiheit klettern.« Sie knotete das obere Ende ihres Strickes um einen der dicken Eisenstäbe der Schlaglädenscharniere.
    Dann atmete sie einmal tief durch und wechselte einen letzten Blick mit Emily und Caitlin. »Ich probiere es aus«, flüsterte sie. »Wenn es sicher ist, folgt ihr mir nach.«
    Ohne eine Antwort abzuwarten, gab sie sich einen Ruck und kletterte in die brusthohe Luke. Sie ergriff das Seil, das links von der Bretterrutsche hinabhing, ruckte noch einmal prüfend an dem Strang aus Leichensäcken an und stieß sich dann ab.
    Langsam, Hand über Hand, ließ sie sich in die Tiefe hinab. Nach wenigen Augenblicken merkte sie, dass ihr der Schweiß trotz der Kälte über die Augen rann. Sie verfluchte sich dafür, dass sie vergessen hatte, wie geschwächt sie noch durch ihre Krankheit war.
    »Nicht nach unten schauen«, flüsterte es von oben, und verblüfft stellte Éanna fest, dass es nicht etwa Emily war, die sie aufmunterte, sondern Caitlin. Sie biss die Zähne zusammen und hangelte sich weiter abwärts.
    Caitlin hatte recht. Den Anblick der tiefen Grube musste sie sich ersparen, auch wenn Kalk und Erde über den dort begrabenen Toten vom Clifton Workhouse lagen. Sie konzentrierte sich jetzt nur darauf, dass es vor der Grube und längs der Mauer, die sich an dieser Stelle mit der Nordwand des Wohnhauses verband, noch einen schmalen Streifen festen Bodens gab.
    Als sie sich eine knappe Körperlänge unterhalb der schräg abwärts weisenden Bretterrutsche befand, kam aus dem Strang über ihr ein leises, aber doch vernehmlich scharfes Geräusch. Es klang nach reißendem Stoff, und Éanna fuhr ein eisiger Schreck durch die Glieder.
    Für einen kurzen Moment hing sie reglos vor Entsetzen am Seil. Sie rechnete damit, dass der Jutestrang im nächsten Augenblick über ihr auseinanderriss und sie in die Tiefe stürzte. Doch als nichts geschah und alles still blieb, kletterte sie weiter, ohne auch nur noch einmal innezuhalten. Dass sie dabei mit den Knien und Ellbogen an der rauen Hauswand entlangschabte, nahm sie in ihrer Aufregung kaum wahr. Und plötzlich hatte sie festen Boden unter den Füßen.
    »Jesus, Maria und Joseph, habt Dank!«, stieß sie erlöst hervor und bekreuzigte sich. Sie gab Emily, die schon oben in der Luke kauerte, das Zeichen, ihr den Sack mit den Umhängen zuzuwerfen und sich dann an den Abstieg zu wagen.
    Sicher und behände wie ein Affe hangelte sich ihre Freundin zu ihr nach unten. Das Seil hielt.
    Ausgerechnet Caitlin, die sich als Letzte am Seil herabließ, hatte weniger Glück. Bei ihrem Abstieg riss der Jutestrang kurz unterhalb der Luke. Sie kam jedoch mit dem Schrecken davon. Denn in dem Moment baumelten ihre Füße schon kurz über Éannas und Emilys Köpfen. Und als das Seil mit einem unangenehm ratschenden Geräusch in die Brüche ging, griffen die Freundinnen geistesgegenwärtig zu, fingen sie gerade noch rechtzeitig auf und verhinderten, dass sie über den Rand des schmalen Erdstreifens und in das Massengrab stürzte.
    »Heiliger Christopherus, das war aber knapp!«, stieß Emily mit gedämpfter Stimme hervor. »Das hätte böse enden können. Wie gut, dass du schon so

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