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Wildes Herz

Wildes Herz

Titel: Wildes Herz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Leonie Britt Harper
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weit unten warst.«
    »Knapp gerettet, ist auch gerettet!«, erwiderte Caitlin trocken. »Aber das hat man davon, wenn man anderen den Vortritt lässt! Man sollte eben immer zuerst an sich denken.«
    »Das ist mal wieder typisch für dich, Caitlin«, raunte Emily kopfschüttelnd. »Du könntest ja auch dankbar sein, dass wir dich rechtzeitig aufgefangen haben. Stattdessen musst du so einen dummen Spruch von dir geben!«
    »Lass es gut sein, Emily. Wir wissen doch, dass sie nicht anders kann.« Éanna sah sich hastig um. Der Mond hatte sich hinter den Wolken verborgen, und die Landschaft um sie herum war in dichte Finsternis gehüllt. Éanna atmete auf. Das Schlimmste war geschafft. Die Freiheit hatte sie wieder!
    »Hier.« Sie zerrte den Sack mit ihren Umhängen auf. »Beeilt euch.«
    Hastig zogen die drei ihre Mäntel über die Anstaltskleidung und machten sich daran, im Schutz der niedrigen Büsche und Sträucher in Richtung Landstraße zu laufen.
    Éanna fuhr ein Schauder über den Rücken, als sie daran dachte, wie es Brendan wohl ergangen war, als er vor einigen Tagen hier entlanggekommen war. Er hatte geglaubt, Éanna wäre tot! Wie hätte sie sich gefühlt, hätte sie von seinem Tod erfahren? Sie schluckte. Seine Verzweiflung und Trauer waren etwas, dass sie fast körperlich spüren konnte.
    Ich schwör es dir, Brendan, sagte sie insgeheim zu sich selbst. Ich werde dich finden. Und dann wird endlich alles gut.
    »Wo soll es hingehen, wenn wir die Landstraße erreichen?«, flüsterte Caitlin von hinten.
    Éanna sah sich nicht einmal um. »Nach Dublin«, sagte sie mit fester Stimme. »Natürlich nach Dublin.«
    Noch wusste sie nicht, dass ihre Flucht schon am Mittag des folgenden Tages ihr schnelles Ende finden sollte.

Zweiunddreißigstes Kapitel
    Sie waren die ganze Nacht über die Landstraße nach Norden marschiert und hatten sich nur wenige Ruhepausen gegönnt. Bei Tagesanbruch würde man im Clifton Workhouse ihre Flucht bemerken, und zu dieser Stunde wollten sie möglichst viele Meilen zwischen sich und das Arbeitshaus gebracht haben.
    Erst als sie die kleine Stadt Ballymore Eustance erreichten, fühlten sie sich einigermaßen sicher. Denn während das Clifton Workhouse zum Verwaltungsbezirk Wicklow gehörte, lag Ballymore Eustace schon im westlich daran angrenzenden Kildare County.
    Zum ersten Mal seit vielen Tagen bekamen sie wieder eine anständige Mahlzeit in den Magen – in einer Suppenküche, in der das Essen um einiges besser war als im Arbeitshaus. Anschließend machten sie sich daran, ihre Wanderung nach Dublin fortzusetzen. Gute zwanzig, fünfundzwanzig Meilen Weg lagen bis zu ihrem Ziel noch vor ihnen. Doch als sie die Suppenküche gerade verlassen hatten und über den Vorplatz gingen, passierte Éanna ein Missgeschick, das alles für sie verändern sollte.
    Éanna stolperte.
    Sie stolperte über einen zu lang herabhängenden Zipfel ihres Umhangs, der ihr ein wenig nach links verrutscht war, kam aus dem Tritt und versuchte noch verzweifelt, das Gleichgewicht zu halten. Doch zu spät. Sie stürzte zu Boden, und im Fallen verhedderte sich ihr linker Fuß im Umhang. Mit einem entsetzlichen Laut rissen die groben Nähte der zusammengeflickten Jutesäcke.
    Emily war innerhalb eines Augenblickes bei ihr, doch sie konnte nicht mehr verdecken, was alle auf dem Platz sahen: dass Éanna unter den zerrissenen Säcken die Kleidung eines Arbeitshauses trug.
    »Seht mal, entlaufene Arbeitshäusler!«, rief jemand hinter ihnen mit einer Mischung aus Schadenfreude und Geringschätzung, kaum dass sich Éanna hastig aufgerappelt und nach der abgerissenen Hälfte ihres Juteumhangs gegriffen hatte.
    Vermutlich wären Éanna, Emily und Caitlin mit dem Schrecken und einigen weiteren spöttischen Zurufen davongekommen. Doch wie das Schicksal es wollte, befanden sich gerade zwei Konstabler in ihrer Nähe. Die beiden Polizisten fassten sie sogleich scharf ins Auge und setzten sich zu ihnen in Bewegung.
    »Stehen bleiben, ihr drei!«
    »Verdammt, lauft!«, rief Caitlin entsetzt. »Nichts wie weg, sonst sind wir geliefert!«
    In panischer Angst rannten sie los. Sie wussten, was ihnen drohte, wenn sie gefasst wurden, nämlich im besten Fall Rückkehr ins Arbeitshaus, vermutlich aber eher ins Gefängnis. Die Angst vor dem einen wie dem anderen machte ihnen Beine und mobilisierte all ihre Kräfte.
    Doch jetzt zollte die Krankheit, die Éanna erst vor ein paar Tagen überwunden hatte, sowie die kräftezehrende Flucht ihren

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